LAVANT, Christine


Wo ist mein Anteil, Herr, am Licht?


Ich will doch auch nach Hause kommen !

Mein Blindenstock ist weggeschwommen

unzeitig sank das Mondgesicht

Bergrücken wachsen mächtig.

Längst bin ich übernächtig

und überreif vor Müdigkeit

sooft der Atem in mir schreit

könnt ich den Tod gebären.

Laß das nicht ewig währen !

Verschaffe mir mein Heimweglicht

auch wenn es grell den Traumstar sticht

und mein Gedächtnis peinigt.

Du weißt, ich brauch kein Himmelshaus

zeig mir das Obdach einer Maus

bevor der Tag mich steinigt.



Stern, geh jetzt heim


Stern, geh jetzt heim, mir zittert schon die Hand,

laß dieses Inbild einen Stärkern tragen!

Ich will die Nacht um meine Schultern schlagen

und mich entsinnen, wo ich den Verstand

verloren habe, als ich dich erblickte.

Wo ist mein Mut, der sich in alles schickte?

Weh dir, du Stern, wenn er nicht wiederkehrt!

Ich hab ihn nicht für Fremde großgezogen.

Sieh, deine Heimkehr wölbt sich schon zum Bogen!

Stern, du wirst fallen, denn mein Mut beschwert

dich vielmals mehr als mich dein Bilderspruch.

Ich wandre leicht mit meinem Schultertuch,

verstand- und mutlos, aber voll Vertrauen

zu meinem Sinnen, die wie Sterne steigen.

Du kannst dein Inbild einem Stärkern zeigen,

ich will die Wurzel meiner Schwäche kauen.



Die Bettlerschale


Horch! das ist die leere Bettlerschale,

halb aus Lehm noch, aber halb schon Stein

und sie trommelt dir bei jedem Male

Hungerlieder zwischen Brot und Wein.


Blick nicht weg und stelle dich nicht taub!

Deine Zehen zucken längst schon lüstern,

eigenmächtig tanzt in deinen Nüstern

Bettler-Hochmut und verschmähter Raub.


Brich nur weiter das gelobte Brot!

Es ist durch und durch schon angesäuert

von dem Salz, das meine Augen scheuert

und die Schale anzufüllen droht.


Wenn die Trommel plötzlich nicht mehr klingt,

wird kein Mahl auf Erden dir mehr munden

und dein Herz wird sich von selber runden

in der Hand, die dich zum Betteln zwingt.



Der Mondhof war noch nie so groß


Der Mondhof war noch nie so groß,

im Süden kämpft die Regenzeit,

der Herr hält seinen Zorn bereit

und läßt gewiß die Hunde los,

sobald ich etwas träume.

Des Nachbars Apfelbäume

sind wild bewegt vom warmen Wind,

die Rosenkugel duckt sich blind

im gelben Wald der Malven.

Die Sterne, die mir halfen,

solang ich noch voll Hoffnung war,

bedeuten jetzt ein Sterbejahr

und Krankheit, Feindschaft, Kummer.

Mein Herz erträgt voll stummer

Verwunderung die arge Zeit

und trinkt in Abgeschiedenheit

den bittern Kelch der Ängste.

Die Nacht ist wohl die längste!

Vielleicht kräht niemals mehr ein Hahn?

Der Mond welkt wie ein Löwenzahn,

hat seinen Hof verloren.

Mein Traum fällt ungeboren

dem Eifer Gottes in die Hand,

ich weine keine Träne.

In meinen Augen knirscht der Sand

wie hundert Hundezähne.


Her mit dem Kelch, ich trinke, was ich muß


Her mit dem Kelch, ich trinke, was ich muß,

und meine Rechte stützt sich auf die Linke,

das ist die Erde, der ich schnell noch winke,

auch sie erträgt von oben jeden Guß,

und ihre Steine halten doch zusammen.

Es ist nicht not, von Sternen abzustammen,

um aus dem Toben heil hervorzugehen.

Ich trink den Zorn und bohre meine Zehen

durchs linde Laub hinab zum scharfen Lauch.

Metallen lärmt im alten Haselstrauch

ein winterharter Vogel über mir.

Ich weiß, ich brenne, ohne je bei dir

auch nur in Form des Weihrauchs anzukommen.

Von allen Sinnen einer steigt benommen

durchs Herz der Hasel in die Vogelkehle,

und meine Rechte zittert in der Linken.

Ein wenig Gold scheint ins Metall zu sinken

und läutet flüchtig für die arme Seele,

als stünde eine Wandlung ihr bevor.

Vom Himmelsrand neigt sich das Halbmond-Ohr

und täuscht mir Betenden Erhörung vor.



Bernsteingelb ist das Geblüt der Erde


Bernsteingelb ist das Geblüt der Erde,

Mohnsud tropft aus allen Freudenarten

in der Zeit, dem immergrünen Garten,

wächst der Apfel, den ich pflücken werde.


Muß zuvor aus überglasten Stunden

Weh- und Wermut in dein Herz verpflanzen,

während Sterne durch den Mittag tanzen,

die der Hunger in uns losgebunden.


Bei den Hornissen- und Wespennestern

stiehlt mein Denken ein paar wilde Waben,

um ein Brot für dich und mich zu haben,

und die Erde blutet gelb wie gestern.


Trink mit mir von allen Freudenarten!

Weh- und Wermut wachsen jetzt von selber,

auch der Apfel wird schon immer gelber,

wenn er reif ist, steht der Tod im Garten.


Oh, wir werden sie verzückt verzehren,

Tod und Apfel und die schwarzen Kerne –

doch das Feuer unsrer Hungersterne

wird das Erdblut röten und vermehren.


Daß ich dem Mond mein Gemüt überließ,

Daß ich dem Mond mein Gemüt überließ,

bringt mich der Lösung nicht näher.

Bis zum gläsernen Weckruf der Hähne

muß ich eingeholt haben

den Schlüssel zu allen Träumen.

Ich werde das Boot verlassen

und über die Wasser des Himmels gehn,

vorbei an den Inseln der Sterne

und der Einkehr der Engel.

Meine Flügel habe ich hingegeben

an die Löwin meiner Schwäche.

Sie wird mir die Wüste bewahren

und den Brunnen der Tänze,

bis ich wiederkehre mit meinem Schlüssel

und Warnung und Vorschriften weiß.

Noch haben die Hähne mein Herz nicht geweckt.

Wehe, wenn ihre gläsernen Rufe

das Lamm mir zerschneiden

vorzeitig und sinnlos!



Im Dunkel meiner Einsamkeit


Im Dunkel meiner Einsamkeit,

da sitzt ein Vogel auf der Nadel des Geschicks.

Er pickt und blutet, pickt und schreit.

Der Abend neigt sein Ohr dem Unglück zu.

Und noch ein Vöglein steigt, ein Vöglein fällt,

ein Vöglein musiziert aus süßer Kehle.

Sie haben sich der Nacht vertraut gemacht,

die Nacht hat sie bedeckt mit ihrem Mäntelchen.

Des Schenkens wird mein weißes Liebchen satt,

vom Trinken wird mein schwarzes Liebchen müd.

Die Nacht hat sie bedeckt mit ihrem Mäntelchen.

Im Dunkel meiner Einsamkeit

da flattern schwarze Vögel, flattern weiße,

in einem Kreis von Schwarz und Weiß und Rot.

Da flüstern sie des nächsten Schrittes Namen.

Da flüstern sie: Wie? Wo? und: Wohin?

Und: wer empfängt den Flug des flüsternden,

des nachtverwirrten, winkenden Vogels?


Das ist mein Engel


Das ist mein Engel. Und ich weiß!

Er hat die heißesten und reinsten Augen

und wird ins Dunkel all mein Fühlen tauchen.

Ein Engel hat mein Lebensboot vermauert

mit jenem Tod, der Feuer und mein Aug‘

und Beben und Verklärung heißt.

Das ist mein Engel. Und ich weiß!

Er legt die Wunden seiner Tränen himmelwärts,

und nichts von meinem tiefen Werdegehen

hat ihn beleidigt oder betroffen,

auch daß ich nicht geblieben bei ihm.

Und sein Gesicht mit den verborgenen Stirnen

schreitet zu mir, die Zweige voller Herbst,

und wendet mich um meine Zweige.

Das ist mein Engel. Und ich weiß!



Wer wird mir hungern helfen diese Nacht


Wer wird mir hungern helfen diese Nacht

und alle Nächte, die vielleicht noch kommen?

Der runde Mond macht einen großen Bogen

weit von mir weg, ich bin ihm schon zu schmal.


So gerne ließe ich die Augen jetzt

wie Kieselsteine aus dem Fenster fallen,

daß ein Betrunkner, drunten auf der Straße,

sie tief hineintritt in den ersten Schnee.


Doch selbst als Blinde würde ich ja noch

von allem wissen und dich immer wieder

fortgehen sehen, denn es steigen Funken

wie Hungersterne mir vom Weinen auf.


Scharr mein Tödlein aus dem Sand

Scharr mein Tödlein aus dem Sand,

Mond, und leg es auf dem Rand

meines Bettes nieder!

Sieben Mutterlieder

gehen schon auf meiner Zunge

rund herum und in der Lunge

pfeift der Atem leise mit.

Geh doch einen Schritt

ab von dem genauen Wege,

grab mein Tödlein aus und lege

seine Wange an die meine!

Jede Nacht, die ich verweine,

stiehlt ja dir, dem Zeitenbringer,

nutzlos unterm kleinen Finger

große Stunden fort:

Stunden, die sich selbst zerschlagen,

und sie könnten Rosen tragen,

wenn ich Wort für Wort

von dem Mutterlieder-Segen

dürfte um mein Tödlein legen,

bis es sanft in meinen Armen

wachsen würde und erwarmen.


Trau der Mannschaft deines Seglers zu

Trau der Mannschaft deines Seglers zu,

dass sie tüchtig aus der Trunkenheit

aufstehn könnte, jeder einzeln aufstehn,

jeder noch bis übers Kinn besoffen,

aber hingehn und das Seine tun!

Zwischen Sternen, die zum Teufel gingen,

ist es herrlich, selbst den Beelzebuben

so im Leib zu haben wie die Kerle

deines gottverdammten Leichenkastens.

Glaubst du denn, der Wind trägt dich dorthin,

wo du hinwillst? – jeder Wind ist herrlich

und verwandt mit aller Teufelei!


Ach, für ihn bist du ein Taschenmesser,

das er einsteckt, ohne es zu merken,

wenn du durch und durch voll Vorsicht bist.

Deine Mannschaft, die du bündeln willst,

und aus ihrem Rücken Riemen schneiden,

schnitzt für dich aus einer Erdnussschale

noch ein viel zu großes Rettungsboot.

Hau jetzt ab samt deiner Nüchternheit!

Dieses Schiff wird nie verständig werden –

melde oben bei dem Bootsverleiher,

dass wir brüllend und das Maul voll Suff

seine Sterne aus der Hölle holen.


Kreuzzertretung


Kreuzzertretung! – Eine Hündin heult

sieben Laute, ohne zu vergeben,

abgestiegen in die Hundehölle

wird ihr Schatten noch den Wurf verwerfen.


Oben bleibt der Vorhang ohne Riß,

nichts zerreißt um einer Hündin willen,

und der Herr – er ließ sich stellvertreten –

sitzt versponnen bei den ganz Vertrauten.


Auch die Toten durften nicht herauf!

Vater, Mutter, – keines war am Hügel,

und die Sonne hat sich bloß verfinstert

In zwei aufgebrochnen Augensternen.


Von der Erde bebte kaum ein Staub,

nur ein wenig sank die Stelle tiefer,

wo der Balg, dem man das Kreuz zertreten,

sich noch einmal nach dem Himmel bäumte.


Der Kadaver – da ihn niemand barg –

kraft der Schande ist er auferstanden.

um sich selbst in das Gewölb zu schleppen,

wo Gottvater wie ein Werwolf haust.


Sonnenapfel

Es riecht nach Schnee, der Sonnenapfel hängt
so schön und rot vor meiner Fensterscheibe;
wenn ich das Fieber jetzt aus mir vertreibe,
wird es ein Wiesel, das der Nachbar fängt,
und niemand wärmt dann meine kalten Finger.
Durchs Dorf gehn heute wohl die Sternensinger
und kommen sicher auch zu meinen Schwestern.
Ein wenig bin ich trauriger als gestern,
doch lange nicht genug, um fromm zu sein.
Den Apfel nähme ich wohl gern herein
und möchte heimlich an der Schale riechen,
bloß um zu wissen, wie der Himmel schmeckt.
Das Wiesel duckt sich wild und aufgeschreckt
und wird vielleicht nun doch zum Nachbar kriechen,
weil sich mein Herz so eng zusammenzieht.
Ich weiß nicht, ob der Himmel niederkniet,
wenn man zu schwach ist, um hinaufzukommen?
Den Apfel hat schon jemand weggenommen …
Doch eigentlich ist meine Stube gut
und wohl viel wärmer als ein Baum voll Schnee.
Mir tut auch nur der halbe Schädel weh
und außerdem geht jetzt in meinem Blut
der Schlaf mit einer Blume auf und nieder
und singt für mich allein die Sternenlieder.