BROCH, Hermann



Die Schlafwandler

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Aufgelöst jedwege Form, ein Dämmerlicht stumpfer Unsicherheit über einer gespenstischen Welt, tastet der Mensch, einem irrenden Kinde gleich, am Faden irgendeiner kurzatmigen Logik durch eine Traumlandschaft, die er Wirklichkeit nennt und die ihm doch nur ein Alptraum is.

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Tod des Vergil

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Stahlblau und leicht, bewegt von einem leisen, kaum merklichen Gegenwind, waren die Wellen des adriatischen Meeres dem kaiserlichen Geschwader entgegen- geströmt, als dieses … dem Hafen Brundisium zusteuerte, und jetzt, … da war das Wasser beinahe spiegelglatt geworden … Von den sieben hochbordigen Fahrzeugen, die in entwickelter Kiellinie aufeinander folgten, gehörten bloß das erste und das letzte, beides schlanke, rammspornige Penteren, der Kriegsflotte an … und das mittlere, prächtigste, goldglänzend sein bronzebeschlagener Bug, goldglänzend die ringtragenden Löwenköpfe unter der Reling, buntbewimpelt die Wanten, trug unter Purpursegeln feierlich und groß das Zelt des Cäsars. Doch auf dem unmittelbar hinterdrein folgenden Schiffe befand sich der Dichter der Äneis, und das Zeichen des Todes stand auf seine Stirne geschrieben.

Der Seekrankheit ausgeliefert, von ihrem ständig drohenden Ausbruch in Spannung gehalten, hatte er den ganzen Tag hindurch nicht gewagt sich zu rühren … So lag er da, der Dichter der Äneis, er, Publius Vergilius Maro, er lag da mit herabgemindertem Bewusstsein, beinahe beschämt ob seiner Hilflosigkeit, beinahe erbost ob solchen Schicksals, und er starrte in das perlmutternde Rund der Himmels-schale: Warum nur hatte er dem Drängen des Augustus nachgegeben? Warum nur hatte er Athen verlassen? Hingeschwunden war nun die Hoffnung, es werde der heitere heilige Himmel Homers hold die Fertigstellung der Äneis begünstigen … oh, hingeschwunden war die Hoffnung auf das Wunder der Erkenntnis und auf die Heilung in der Erkenntnis. Warum hatte er darauf verzichtet? Freiwillig? Nein!

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Cäsar: Soweit sie Teil des staatlichen Gemeinwohles ist, muß selbst die Freiheit als Wirklichkeit und darf nicht als Scheinwirklichkeit an gesprochen werden, denn auch die Freiheit hat mehr zu sein als ein bloßes Gleichnis; nur allzuoft ist sie zu einem solchen, herabgewürdigt worden; nicht zuletzt vom Staate selber. Unter Anrufung solch’ heuchlerischer Scheinfreiheit ist es den Herren in der Purpurtoga immer wieder gelungen, das. Volk zu betrügen und zum Bürgerkrieg aufzuhetzen! Niederträchtige Heuchelei! Gewiß, die Türen zur Kurie standen offen, und wer wollte, der konnte den Senatssitzungen lauschen aber dies war auch die einzige Freiheit, die dem Volke gegönnt war, die hinterhältigste aller Volksfreiheiten: die Erlaubnis, hören zu dürfen, wie Gesetze zur Volksbedrückung und Volksaussaugung von der baren Gewissenlosigkeit beschlossen werden! Gleichnis oder nicht Gleichnis – überlebte Einrichtungen verkehren Wirklichkeit zu Scheinwirklichkeit, Freiheit zu Scheinfreiheit, und dies ist der beste Boden für alles Verbrechertum; damit hatte ich aufzuräumen. Ja, in dem alten Bauernstaat, der dir vorschwebt, da hatten jene Einrichtungen noch ihren guten Sinn, da konnte der Bürger noch die öffentlichen Angelegenheiten überblicken, da hatte die Volksversammlung noch ihren richtigen, wahrhaft freien Willen: Heute hingegen haben wir es mit vier Millionen römischer Bürger zu tun, heute haben, wir blinde Riesenmassen vor-uns, und diese folgen urteilslos einem jeden, der es versteht, sich in dem schillernd verführerischen Gewand der Freiheit aufzuspielen und solcher Art mit gauklerisch geschicktem Faltenwurf zu vertuschen, wie arg es aus überlebten und nichtssagenden Formelfetzen zusammen- – gestückt und zusammengeflickt ist. So und nicht anders sieht die Freiheit der Volksmassen aus, und wahrlich, sie wissen selber darum! Sie wissen um die tiefe Unsicherheit, in der sie leiblich wie seelisch leben, sie wissen und sie wissen trotzdem nicht, daß eine neue Wirklichkeit sie umgibt, die sie weder zu erfassen noch zu leiten vermögen; sie wissen bloß, . daß sie unberechenbaren Gewalten ausgeliefert sind, Gewalten von unerahnbarer Ausdehnung, Gewalten, die sie zwar manchmal benennen können, als Hungersnot oder als Seuche, als afrikanische Fehlernte oder als Barbareneinbruch die ihnen aber, bei alledem, doch nur Ausdruck einer dahinterstehenden, noch tieferen, noch – unberechenbareren Bedrohung sind: wahrlich, die Massen wissen um die Gefahren ihrer eigenen Freiheit, sie wissen um die Scheinfreiheit, die sie zur furchtsam aufgescheuchten, führerlos umherirrenden Herde macht. Und eben im Anblick dieser tiefen Unsicherheit, eben im Anblick all dieser inneren und äußeren Bedrohung, denen die Volksmasse ausgesetzt ist, wiederhole ich und muß ich wiederholen, daß die echte Freiheit sich ausschließlich in der römischen Ordnung findet, in der Wohlfahrt für alle, kurzum im Staat. Es gibt keine andere Freiheit. Der Staat, den mein vergöttlichter Vater, geheiligt sei sein Andenken; gewollt hat, der Staat, den ich seinem Vermächtnis gemäß aufzubauen bemüht bin, dieser Staat ist selber die Freiheit, unvergänglich und wirklich, er ist die Freiheit in der-Wirklichkeit des römischen Geistes.“

Der Augustus schien nichts (von den Einwänden des Dichers) gehört zu haben; unbewegt fuhr er fort: „Irdisch ist die Wirklichkeit Roms, irdisch ist seine Menschlichkeit, nüchtern milde für den, der sich fügt; nüchtern hart gegen den der die Ordnung trotzig zu stören wagt. Nicht nur auf. italienischem Boden habe ich den Bauernstand gegen Enteignung geschützt; nein, ich habe dies im ganzen Reichs-, gebiet durchgeführt; ich habe den Steuerdruck in den Provinzen beseitigt, ich habe den Völkern ihre Rechte und Sonderheiten wiedergegeben, ich habe die Mißwirtschaft einer Verwaltung abgestellt-, die sich republikanisch nannte und damit den Namen der Republik geschändet hat. Meine Tadler mögen mir vorwerfen, daß dies sehr nüchterne und keine sehr glänzenden Leistungen seien. Nun denn, ich habe durch meine nüchternen Leistungen den geschändeten Namen der Republik wieder zu Ehren, gebracht und ich habe, den Verwüstungen des Bürgerkrieges zum Trotz, dem gesamten Reichsgebiet neuen Wohlstand gebracht. Nüchternheit ist der Glanz Roms, nüchtern ist die römische Menschlichkeit, diese Nüchternheit sorgt für die Wohlfahrt der Allgemeinheit und buhlt um niemandes Gunst, ja sie sieht sich sogar oftmals veranlaßt, die Entwicklung zu; besserer Menschlichkeit abzuschneiden oder zumindest auf später zu verschieben. So habe ich zwar darauf; hingewirkt, daß das Los der Sklaven gebessert werde, indes: der Wohlstand des Reiches benötigt Sklaven, und sie haben sich in diese Wirklichkeit einzuordnen, ungeachtet des Rechtes das den Unterdrückten zukommt und auf das sie pochen können, wahrlich, gegen alle Milde und durchaus ungern habe ich mich bequemen müssen, das Übermaß ihrer Freilassungen gesetzlich einzudämmen, und lehnten sie sich, dawider auf, erstünde ihnen ein neuer Spartakus als Anführer, ich müßte ebenso wie Crassus Tausende von ihnen ans Kreuz – schlagen lassen, müßte es sowohl zur Abschreckung wie zum Ergötzen des Volkes tun, auf daß dieses stets grausamkeitsbereit, stets angstbereit, grausam und schaudernd die Nichtigkeit des einzelnen vor dem allesgebietenden Staat erkenne.

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