DEHMEL, Richard
Im Regen
Es stimmt zu mir, es ist ein sinnreich Wetter;
mein Nacken trieft, denn Baum und Borke triefen.
Die Tropfen klatschen durch die schlaffen Blätter;
die nassen Vögel tun, als ob sie schliefen.
Der Himmel brütet im verwaschnen Laube,
als würde nie mehr Licht nach diesem Regen;
nun kann er endlich, ungestört vom Staube,
das Los der Erde gründlich überlegen.
Die Welt fühlt grämlich ihres Alters Schwere:
kein Fünkchen Freude, keine Spur von Trauer.
Und immer steter schwemmt sie mich ins Leere:
kein Staub, kein Licht mehr - grau - und immer grauer.
Nachtgebet der Braut
O mein Geliebter - in die Kissen
bet' ich nach dir, ins Firmament!
O könnt ich sagen, dürft er wissen,
wie meine Einsamkeit mich brennt!
O Welt, wann darf ich ihn umschlingen!
O laß ihn mir im Traume nahn,
mich wie die Erde um ihn schwingen
und seinen Sonnenkuß empfahn
und seine Flammenkräfte trinken,
ihm Flammen, Flammen wiedersprühn,
oh Welt, bis wir zusammensinken
in überirdischem Erglühn!
O Welt des Lichtes, Welt der Wonne!
O Nacht der Sehnsucht, Welt der Qual!
O Traum der Erde: Sonne, Sonne!
O mein Geliebter - mein Gemahl -
Stromüber
Der Abend war so dunkelschwer,
und schwer durchs Dunkel schnitt der Kahn;
die Andern lachten um uns her,
als fühlten sie den Frühling nahn.
Der weite Strom lag stumm und fahl,
am Ufer floß ein schwankend Licht,
die Weiden standen starr und kahl.
Ich aber sah dir ins Gesicht
und fühlte deinen Atem flehn
und deine Augen nach mir schrein
und eine Andre vor mir stehn
und heiß aufschluchzen: Ich bin dein!
Das Licht erglänzte nah und mild;
im grauen Wasser, schwarz, verschwand
der starren Weiden zitternd Bild.
Und knirschend stieß der Kahn ans Land.
Empfang
Aber komm mir nicht im langen Kleid!
komm gelaufen, daß die Funken stieben,
beide Arme offen und bereit!
Auf mein Schloß führt keine Galatreppe;
über Berge gehts, reiß ab die Schleppe,
nur mit kurzen Röcken kann man lieben!
Stell dich nicht erst vor den Spiegel groß!
Einsam ist die Nacht in meinem Walde,
und am schönsten bist du blaß und bloß,
nur beglänzt vom schwachen Licht der Sterne;
trotzig bellt ein Rehbock in der Ferne,
und ein Kuckuck lacht in meinem Walde.
Wie dein Ohr brennt! wie dein Mieder drückt!
rasch, reiß auf, du atmest mit Beschwerde;
o, wie hüpft dein Herzchen nun beglückt!
Komm, ich trage dich, du wildes Wunder:
wie dich Gott gemacht hat! weg den Plunder!
und dein Brautbett ist die ganze Erde.
Blick ins Licht
Still von Baum zu Bäumen schaukeln
meinen Kahn die Uferwellen;
märchenblütenblau umgaukeln
meine Fahrt die Schilflibellen,
Schatten küssen den Boden der Flut.
Durch die dunkle Wölbung der Erlen
-welch ein funkelndes Verschwenden -
streut die Sonne mit goldenen Händen
silberne Perlen
in die smaragdenen Wirbel der Flut.
Durch die Flucht der Strahlen schweben
bang nach oben meine Träume,
wo die Bäume
ihre kranken Häupter heben
in des Himmels ruhige Flut.
Und in leichtem, lichtem Kreise
weht ein Blatt zu meinen Füßen
nieder; und des Friedens leise
weiße Taube seh ich grüßen,
fernher grüßen
meiner Seele dunkle Flut.
Entbietung
Schmück dir das Haar mit wildem Mohn,
die Nacht ist da,
all ihre Sterne glänzen schon.
All ihre Sterne glühn heut Dir!
du weißt es ja:
all ihre Sterne glühn in mir!
Dein Haar ist schwarz, dein Haar ist wild
und knistert unter meiner Glut;
und wenn die schwillt,
jagt sie mit Macht
die roten Blüten und dein Blut
hoch in die höchste Mitternacht.
In deinen Augen glimmt ein Licht,
so grau in grün,
wie dort die Nacht den Stern umflicht.
Wann kommst du?! - Meine Fackeln lohn!
laß glühn, laß glühn!
schmück mir dein Haar mit wildem Mohn
Bekenntnis
Ich will ergründen alle Lust,
so tief ich dürsten kann;
ich will sie aus der ganzen Welt
schöpfen, und stürb´ ich dran.
Ich will´s mit all der Schöpferwut,
die in uns lechzt und brennt;
ich will nicht zähmen meiner Glut
heißhungrig Element.
Ward ich durch frommer Lippen Macht,
durch zahmer Küsse Tausch?
Ich ward erzeugt in wilder Nacht
und großem Wollustrausch!
Und will nun leben so der Lust,
wie mich die Lust erschuf.
Schreit nur den Himmel an um mich,
ihr Beter von Beruf!
Die stille Stadt
Liegt eine Stadt im Tale,
ein blasser Tag vergeht;
es wird nicht lange dauern mehr,
bis weder Mond noch Sterne;
nur Nacht am Himmel steht.
Von allen Bergen drücken
Nebel auf die Stadt;
es dringt kein Dach, nicht Hof noch Haus,
kein Laut aus ihrem Rauch heraus,
Kaum Türme noch und Brücken,
Doch als den Wandrer graute,
da ging ein Lichtlein auf im Grund;
und durch den Rauch und Nebel
begann ein leiser Lobgesang,
aus Kindermund.
Venus Homo
Bettle nicht vor mir mit deinen Brüsten,
deinen Brüsten bin ich kalt;
tausend Jahre alt
ist dein Blick mit seinen Lüsten.
Sieh mich an, wie Du als Braut getan:
mit dem Blick des Grauens vor der Schlange!
Viel zu lange
war ich, Weib, dein Mann.
Willst du Gift aus meiner Wurzel saugen?
unverwundbar bin ich deinem Biss!
Folge mir ins Paradies:
sieh mich an mit deinen Menschenaugen...
Verklärte Nacht
Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain;
der Mond läuft mit, sie schaun hinein.
Der Mond läuft über hohe Eichen;
kein Wölkchen trübt das Himmelslicht,
in das die schwarzen Zacken reichen.
Die Stimme eines Weibes spricht:
Ich trag ein Kind, und nit von Dir,
ich geh in Sünde neben Dir.
Ich hab mich schwer an mir vergangen.
Ich glaubte nicht mehr an ein Glück
und hatte doch ein schwer Verlangen
nach Lebensinhalt, nach Mutterglück
und Pflicht; da hab ich mich erfrecht,
da ließ ich schaudernd mein Geschlecht
von einem fremden Mann umfangen,
und hab mich noch dafür gesegnet.
Nun hat das Leben sich gerächt:
nun bin ich Dir, o Dir, begegnet.
Sie geht mit ungelenkem Schritt.
Sie schaut empor; der Mond läuft mit.
Ihr dunkler Blick ertrinkt in Licht.
Die Stimme eines Mannes spricht:
Das Kind, das Du empfangen hast,
sei Deiner Seele keine Last,
o sieh, wie klar das Weltall schimmert!
Es ist ein Glanz um alles her;
Du treibst mit mir auf kaltem Meer,
doch eine eigne Wärme flimmert
von Dir in mich, von mir in Dich.
Die wird das fremde Kind verklären,
Du wirst es mir, von mir gebären;
Du hast den Glanz in mich gebracht,
Du hast mich selbst zum Kind gemacht.
Er faßt sie um die starken Hüften.
Ihr Atem küßt sich in den Lüften.
Zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht.
Überraschung
Über die grauen Dächer weg,
hoch hier oben,
durch die langen roten Nelken,
die vor meinem offnen Fenster
leise zwischen mir
und dem blauen Abendhimmel schwanken,
will mein Herzschlag
mit meiner Seele
hinaus, hinauf,
Um die höchste goldene Kirchturmkugel,
im letzten fernen Lichte,
mit hellen Flügeln,
zieht ein Taubenschwarm
eilende Kreise
über dem Hause
meiner Geliebten.
Aus dem blassen Westen
dringt der erste Stern und überflimmert
scheu den lauten Dunst und trüben Lärm
der großen Stadt hier unten,
wie der erste blinkende Traumgedanke
aus dem grauen Schwarm der Lebensfragen
in der Seele des Müden taucht -
da klopft es.
Klopft und ist auch schon im Stübchen,
sitzt mir auf dem Diwan gegenüber,
sagt kein Wort, es zittert nur ihr Atem,
nur das lose Ringelhaar,
nur die Lippen und die rote Bluse
auf dem jungen, warmen, raschen Busen;
und ich sage auch nichts.
Ihre bangen Augensterne wagen
in der stummen Dämmerung des Stübchens
hoch hier oben
einen süß beredten Evablick
nach den langen roten Nelken hin;
0, ihr Augen - -
Und ich angle nach ihr mit den Beinen,
diesen Perpendikeln meines Herzens:
Kleine, merkst du,
was die Uhr geschlagen hat? -
Befreit
Du wirst nicht weinen. Leise, leise
wirst du lächeln; und wie zur Reise
geb ich dir Blick und Kuß zurück.
Unsre lieben vier Wände! Du hast sie bereitet,
ich habe sie dir zur Welt geweitet -
o Glück!
Dann wirst du heiß meine Hände fassen
und wirst mir deine Seele lassen,
läßt unsern Kindern mich zurück.
Du schenktest mir dein ganzes Leben,
ich will es ihnen wiedergeben -
o Glück!
Es wird sehr bald sein, wir wissen's Beide,
wir haben einander befreit vom Leide,
so geb' ich dich der Welt zurück.
Dann wirst du mir nur noch im Traum erscheinen
und mich segnen und mit mir weinen -
o Glück!