HÄRTLING, Peter
Fundevogel
Fundevogel, lieber Reim:
Siebenschlaf und Honigseim –
plötzlich wacht der Segen auf.
Zögern ist sein Lebenslauf.
Dort wo andre länger wachen,
wacht er mit und schlitzt das Lachen.
Dort wo andre länger träumen,
hilft er, Reisen zu versäumen.
Find den Vogel, lieber Reim,
letzter Schlaf und Fliegenleim –
keiner spielt mehr, keiner lacht,
jemand hat sein Nichts gedacht.
Auf dem Reim nachhausgeritten –
Fundevogel, kleines Glück.
Niemand wird den Vogel bitten:
Lass dich finden, komm zurück!
Widerworte
Du hast dir deinen Himmel selbst gemalt
und wenn du fortfliegst, stößt du nicht daran.
Du hast mit keiner Welt geprahlt,
Vergessenes siehst du mit Zutraun an.
Du trägst die alten Dinge sacht umher:
die Spiele, Masken und das Szenenwort −
sie wiegen leicht, sie warn nie schwer,
verrücken dich und nicht den Ort.
Wo bin ich schon daheim, fragst du den Schuh −
rufst dir Figuren hoch, die niemand kennt:
Sie bauen Straße Haus und Turm im Nu
und schlagen eine Sonne an, die nichts verbrennt.
So bist du weit: Wer dich erreichen will, der trennt
sich vom Gesicht, das er sich aufgesetzt,
verläßt den Namen, der ihn nennt,
verstößt das Echo, das er durchgewetzt.
Du lobst die Silben, ächtest den Vergleich,
stäubst Floskeln aus und machst die Wahrheit leer −
du spielst, verwandelst, schaffst ein Reich
und holst von neuem alle Widerworte her.
Altes Spiel
immerhin und immerher
lockt das nein zur wiederkehr
setzt den spöttern nasen auf
nimmt den fliegenleim in kauf –
heißt die wände dünner sein
schmilzt das lachen härter ein
hängt sich bunte fetzen um
immerhin und immerdumm
immerleis und immerlaut
hat die welt ins loch gebaut
hat den argwohn umgetauft
und das feilschen rasch verkauft.
immerher und immerhin
blinzeln aus dem widersinn
der auf dünnen beinen geht
und um keine hilfe fleht.
Wenn jeder eine Blume pflanzte“
Wenn jeder eine Blume pflanzte,
jeder Mensch auf dieser Welt,
und, anstatt zu schießen, tanzte
und mit Lächeln zahlte statt mit Geld –
wenn ein jeder einen andern wärmte,
keiner mehr von seiner Stärke schwärmte,
keiner mehr den andern schlüge,
keiner sich verstrickte in der Lüge,
wenn die Alten wie die Kinder würden,
sie sich teilten in den Bürden,
wenn dies Wenn sich leben ließ,
wär’s noch lang kein Paradies –
bloß die Menschenzeit hätt‘ angefangen,
die in Streit und Krieg uns beinah ist vergangen.