GRASS, Günter



In Ohnmacht gefallen


Wir lesen Napalm und stellen Napalm uns vor.

Da wir uns Napalm nicht vorstellen können,

lesen wir über Napalm, bis wir uns mehr

unter Napalm vorstellen können.

Jetzt protestieren wir gegen Napalm.

Nach dem Frühstück, stumm,

auf Fotos sehen wir, was Napalm vermag.

Wir zeigen uns grobe Raster

und sagen: Siehst du, Napalm.

Das machen sie mit Napalm.

Bald wird es preiswerte Bildbände

mit besseren Fotos geben,

auf denen deutlicher wird,

was Napalm vermag.

Wir kauen Nägel und schreiben Proteste.

Aber es gibt, so lesen wir,

Schlimmeres als Napalm.

Schnell protestieren wir gegen Schlimmeres.

Unsere berechtigten Proteste, die wir jederzeit

verfassen falten frankieren dürfen, schlagen zu Buch.

Ohnmacht, an Gummifassaden erprobt.

Ohnmacht legt Platten auf: ohnmächtige Songs.

Ohne Macht mit Guitarre. –

Aber feinmaschig und gelassen

wirkt sich draußen die Macht aus.



Was gesagt werden muss


Warum schweige ich, verschweige zu lange,

was offensichtlich ist und in Planspielen

geübt wurde, an deren Ende als Überlebende

wir allenfalls Fußnoten sind.


Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,

der das von einem Maulhelden unterjochte

und zum organisierten Jubel gelenkte

iranische Volk auslöschen könnte,

weil in dessen Machtbereich der Bau

einer Atombombe vermutet wird.

Doch warum untersage ich mir,

jenes andere Land beim Namen zu nennen,

in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten -

ein wachsend nukleares Potential verfügbar

aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung

zugänglich ist?


Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,

dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,

empfinde ich als belastende Lüge

und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,

sobald er missachtet wird;

das Verdikt 'Antisemitismus' ist geläufig.


Jetzt aber, weil aus meinem Land,

das von ureigenen Verbrechen,

die ohne Vergleich sind,

Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,

wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch

mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,

ein weiteres U-Boot nach Israel

geliefert werden soll, dessen Spezialität

darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe

dorthin lenken zu können, wo die Existenz

einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,

doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,

sage ich, was gesagt werden muss.


Warum aber schwieg ich bislang?

Weil ich meinte, meine Herkunft,

die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,

verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit

dem Land Israel, dem ich verbunden bin

und bleiben will, zuzumuten.


Warum sage ich jetzt erst,

gealtert und mit letzter Tinte:

Die Atommacht Israel gefährdet

den ohnehin brüchigen Weltfrieden?

Weil gesagt werden muss,

was schon morgen zu spät sein könnte;

auch weil wir - als Deutsche belastet genug -

Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,

das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld

durch keine der üblichen Ausreden

zu tilgen wäre.


Und zugegeben: ich schweige nicht mehr,

weil ich der Heuchelei des Westens

überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen,

es mögen sich viele vom Schweigen befreien,

den Verursacher der erkennbaren Gefahr

zum Verzicht auf Gewalt auffordern und

gleichfalls darauf bestehen,

dass eine unbehinderte und permanente Kontrolle

des israelischen atomaren Potentials

und der iranischen Atomanlagen

durch eine internationale Instanz

von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.


Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern,

mehr noch, allen Menschen, die in dieser

om Wahn okkupierten Region

dicht bei dicht verfeindet leben

und letztlich auch uns zu helfen.