HUMMELT, Norbert
Pan im Schilf
wie dieser heiße wind, scirocco, alles lahmlegt .. schlammiger
boden, schilfrohr, wurzelwerk, alles so träge, grau-oliv getönt
daß jeder unter der hitze stöhnt wie damals, als ich in palermo
war, bei tagesanbruch in der ersten bar, als der espresso mich
zurück ins leben holte; da ich nicht schlafen konnte, denn mir
war bewußt, wo ich auch hingeh, daß ich sterben muß. konnte
so nicht in die kapuzinergruft, nicht zu den mumien, schädeln
u. skeletten. ich wollte lieber einmal noch ans meer u. tun als
könnte ich die augen schließen, den wind, die wärme, wellen
um mich her, u. dämmern, schaukeln .. sind wir die ersten an
der kleinen bucht? kommst du mit schwimmen? das wasser ist
nicht tief. doch einer sitzt schon vor uns da im schilf, wendet
uns den blanken rücken zu. ist jetzt wohl besser, wenn man
ihn nicht stört: das ist der typ, zu dem der hund gehört, die
dogge. doch er bemerkt uns nicht, hat einen knopf im ohr. du
rufst mir zu: schwimm nicht zu weit vom ufer. doch wieder
höre ich in mir ein singen .. schlingpflanzen sind nun unter
meinen füßen. vor meinen augen blitzt es: die libelle. noch
zwei, drei stöße, schmerzt nicht sehr. wie bald kann ich mein
ganzes leben sehen, u. dann berühre ich den grund nicht mehr.
der erste schnee
du sagst du wußtest schon wie du zum fenster
gingst es ist die amsel die uns da beäugt
so tief wie du in meinen armen liegst hielt sie
sich fliegend an sich selber fest jetzt sitzt sie
stumm wo in der dunkeln gabelung noch eine
spur von etwas weißem blieb das ist bestimmt
erst über nacht gekommen u. stäubt herab
wenn sie den zweig verläßt du sagst im schlaf
hast du den ersten schnee gerochen doch
was uns trennte ist noch nicht besprochen
sind denn die vogelbeeren noch nicht bald
erfroren ich sah sie leuchten eben im geäst
Friesisches Sonett
die ebb. die flut. die marsch. der strand.
die warf. die wurt. der priel.
das watt. die dün. der kolk. der sand.
der schlick. das brack. das siel.
die well. die wog. die gischt. der wind.
das fehn. der torf. die wiese.
das tief. das feld. das gras. das rind.
die geest. der grog. der friese.
der fisch. die krabb. die kräh. die möv.
das meer. das schiff. der hafen.
der klunt. der rahm. der tee. das stöv.
die küh. die pferd. die schafen.
Das land. die see. der sturm. der deich.
das vieh. der mensch. die leich.
Die Wintertraube
die bienen sitzen in der wintertraube, man sieht sie jetzt
um diese zeit nicht mehr; ihr summen dringt kaum durch
den mund der lade als fernes dröhnen an mein schwaches
ohr .. sie sitzen eng dort u. sie schwirren immer u. halten
sich durch dieses schwirren warm. u. für die tage, wenn es
friert, erklärt der imker, bereite ich die zuckerlösung vor.
die zuckerlösung: ja, die wirkte immer. lang her, da saß
ich selbst in einer solchen traube, die stimmen summten
immer rund um mich, so lückenlos war das gerede. ich
saß als kind an dem gedeckten tisch. der kaffee wässrig
kaum der rede wert, den konnte man sogar als kind schon
trinken. der wasserkessel stand stets auf dem herd. das
zimmer war nach außen abgedichtet. das ganze jahr gab
eine lampe licht. aber die kirschtorte war ohnegleichen u.
einen sonntag ohne torte gab es nicht. der boden mürbeteig
u. erst die sahne, die jedesmal so frisch geschlagen war ..
ich wollte nie aus dieser traube weichen. ich höre kaum
noch, wie der imker spricht: wenn ende mai der raps
in blüte steht .. als man für jedes volk fünf mark bekam.
der honig ist für dieses jahr geschleudert. die bienen sitzen
in der wintertraube, sie halten sich dort durch ihr schwirren
warm; mich wärmt nicht einmal mehr mein kinderglaube
ich kann nicht schwirren u. mich trägt kein schwarm. ich
stehe nur u. gehe ein paar schritte vom brombeerstrauch
zum bienenhaus u. darf für eine weile in dem garten sein
bis man zum kaffee ruft: moment ich komme gleich .. ich
stehe vor dem stock mit leeren händen. der regen trommelt
auf das dach der laube. die bienen sitzen in der wintertraube.
Nachtlied
die nacht ist wieder da, ich stehe lauschend
über mein kind gebeugt an seinem bett, um
einen atemzug mit mir hinauszunehmen, aber
alles still; die nase scheint ganz frei zu sein
kein rasseln geht, u. ist es auch nicht völlig
finster hier im zimmer, so kann ich doch das
heben oder senken der bettdecke nicht ohne
zweifel sehen. in mir ist alles ungewiß wie je
ein zwielicht, das durch die lamellen dringt.
ein bellen nebenan, ein krankenwagen sind
zeichen, daß die welt besteht. ich muß es
glauben, es ist leicht, morgen früh, wenn gott
will, hören wir wieder die ringeltaube. ihr ruf
erinnert mich .. es ist august, mein liebling,
alles still. ich weiß nur sicher, daß die dielen
knarren, so vorsichtig ich mich bewegen mag.
es ist passiert; ein kurzes schlafeszucken mit
dem fuß rührte die spieluhr an, sie singt; oder
war es meine hand, die um die decke streicht.
ein kurzes wimmern nur, damit ich gehen kann.