DRAESNER, Ulrike
Zu lieben
…..
Ich hatte mir immer eine Familie gewünscht. Irgendwann dachte ich, dieser Wunsch erfüllt sich nicht mehr. Da kam ein Anruf, und ich wusste, es wird einen neuen Menschen in meinem Leben geben. – Davon will ich erzählen: von Hürden, Begegnungen, der ersten Nähe. Von Fremdheit. Es ist die Geschichte vom Ernstnehmen eines Kindes. Die Geschichte einer Mutter, deren Mutterschaft immer gefährdet ist. Unsere Geschichte.
…..
Wir haben begriffen, sage ich, dass diese Welt, allemal die Welt der Nähe, komplizierter ist, als wir sie uns einst träumen wollen. Wir haben begriffen, dass sie Elemente enthält, von denen wir nichts wissen und für die wir keine Wörter haben. Wir haben begriffen, dass diese Elemente oder Dinge oder Verbindungen wirklich sind, auch wenn wir sie kaum zu fassen oder zu benennen mögen. Wir haben sie genießen gelernt, wir haben sie fühlen gelernt, wir haben das Gewebe gesehen, wir wissen, dass wir Fragmente sind, dass wir vergehen und dass wir kommen und dass wir nicht wissen, wie wir zusammengehören, und es wieder und wieder »nur« neu erfinden müssen. Dass wir nicht unsere Herkunft sind. Unsere Herkunft mag Teil von uns sein, doch was sie bedeutet, bestimmten wir mit. Denn wir sind es, die sich und anderen die Geschichte dessen erzählen, wer wir sind. Indem wir werden, wer wir sein können – um nicht bleiben zu müssen, als wen andere uns immer schon erzählt haben oder weiterhin zu erzählen versuchen.
…..