BACHMANN, Ingeborg



Freies Geleit


Mit schlaftrunkenen Vögeln

und winddurchschossenen Bäumen

steht der Tag auf, und das Meer

leert einen schäumenden Becher auf ihn.


Die Flüsse wallen ans große Wasser,

und das Land legt Liebesversprechen

der reinen Luft in den Mund

mit frischen Blumen.


Die Erde will keinen Rauchpilz tragen,

kein Geschöpf ausspeien vorm Himmel,

mit Regen und Zornesblitzen abschaffen

die unerhörten Stimmen des Verderbens.


Mit uns will sie die bunten Brüder

und grauen Schwestern erwachen sehn,

den König Fisch, die Hoheit Nachtigall

und den Feuerfürsten Salamander.


Für uns pflanzt sie Korallen ins Meer.

Wäldern befiehlt sie, Ruhe zu halten,

dem Marmor, die schöne Ader zu schwellen,

noch einmal dem Tau, über die Asche zu gehn.


Die Erde will ein freies Geleit ins All

jeden Tag aus der Nacht haben,

daß noch tausend und ein Morgen wird

von der alten Schönheit jungen Gnaden.



An die Sonne


Schöner als der beachtliche Mond und sein geadeltes Licht,

Schöner als die Sterne, die berühmten Orden der Nacht,

Viel schöner als der feurige Auftritt eines Kometen

Und zu weit Schönerem berufen als jedes andre Gestirn,

Weil dein und mein Leben jeden Tag an ihr hängt, ist die Sonne.


Schöne Sonne, die aufgeht, ihr Werk nicht vergessen hat

Und beendet, am schönsten im Sommer, wenn ein Tag

An den Küsten verdampft und ohne Kraft gespiegelt die Segel

Über dein Aug ziehn, bis du müde wirst und das letzte verkürzt.


Ohne die Sonne nimmt auch die Kunst wieder den Schleier,

Du erscheinst mir nicht mehr, und die See und der Sand,

Von Schatten gepeitscht, fliehen unter mein Lid.


Schönes Licht, das uns warm hält, bewahrt und wunderbar sorgt,

Dass ich wieder sehe und dass ich dich wiederseh!


Nichts Schönres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein ...


Nichts Schönres als den Stab im Wasser zu sehn und den Vogel oben,

Der seinen Flug überlegt, und unten die Fische im Schwarm,

Gefärbt, geformt, in die Welt gekommen mit einer Sendung von Licht,

Und den Umkreis zu sehn, das Geviert eines Felds, das Tausendeck meines Lands

Und das Kleid, das du angetan hast. Und dein Kleid, glockig und blau!


Schönes Blau, in dem die Pfauen spazieren und sich verneigen,

Blau der Fernen, der Zonen des Glücks mit den Wettern für mein Gefühl,

Blauer Zufall am Horizont! Und meine begeisterten Augen

Weiten sich wieder und blinken und brennen sich wund.


Schöne Sonne, der vom Staub noch die größte Bewundrung gebührt,

Drum werde ich nicht wegen dem Mond und den Sternen und nicht,

Weil die Nacht mit Kometen prahlt und in mir einen Narren sucht,

Sondern deinetwegen und bald endlos und wie um nichts sonst

Klage führen über den unabwendbaren Verlust meiner Augen.


Alle Tage


Der Krieg wird nicht mehr erklärt,

sondern fortgesetzt. Das Unerhörte

ist alltäglich geworden. Der Held

bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache

ist in die Feuerzonen gerückt.

Die Uniform des Tages ist die Geduld,

die Auszeichnung der armselige Stern

der Hoffnung über dem Herzen.


Er wird verliehen,

wenn nichts mehr geschieht,

wenn das Trommelfeuer verstummt,

wenn der Feind unsichtbar geworden ist

und der Schatten ewiger Rüstung

den Himmel bedeckt.


Er wird verliehen

für die Flucht von den Fahnen,

für die Tapferkeit vor dem Freund,

für den Verrat unwürdiger Geheimnisse

und die Nichtachtung

jeglichen Befehls.


Die große Fracht


Die große Fracht des Sommers ist verladen,

das Sonnenschiff im Hafen liegt bereit,

wenn hinter dir die Möwe stürzt und schreit.

Die große Fracht des Sommers ist verladen.


Das Sonnenschiff im Hafen liegt bereit,

und auf die Lippen der Galionsfiguren

tritt unverhüllt das Lächeln der Lemuren.

Das Sonnenschiff im Hafen liegt bereit.


Wenn hinter dir die Möwe stürzt und schreit,

kommt aus dem Westen der Befehl zu sinken;

doch offnen Augs wirst du im Licht ertrinken,

wenn hinter dir die Möwe stürzt und schreit.


Die gestundete Zeit


Es kommen härtere Tage.

Die auf Widerruf gestundete Zeit

wird sichtbar am Horizont.

Bald musst du den Schuh schnüren

und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe.

Denn die Eingeweide der Fische

sind kalt geworden im Wind.

Ärmlich brennt das Licht der Lupinen.

Dein Blick spurt im Nebel:

die auf Widerruf gestundete Zeit

wird sichtbar am Horizont.


Drüben versinkt dir die Geliebte im Sand,

er steigt um ihr wehendes Haar,

er fällt ihr ins Wort,

er befiehlt ihr zu schweigen,

er findet sie sterblich

und willig dem Abschied

nach jeder Umarmung.


Sieh dich nicht um.

Schnür deinen Schuh.

Jag die Hunde zurück.

Wirf die Fische ins Meer.

Lösch die Lupinen!


Es kommen härtere Tage.



Eine Art Verlust

Gemeinsam benutzt: Jahreszeiten, Bücher und eine Musik.

Die Schlüssel, die Teeschalen, den Brotkorb, Leintücher und ein Bett.

Eine Aussteuer von Worten, von Gesten, mitgebracht, verwendet, verbraucht.

Eine Hausordnung beachtet. Gesagt. Getan. Und immer die Hand gereicht.


In Winter, in ein Wiener Septett und in Sommer habe ich mich verliebt.

In Landkarten, in ein Bergnest, in einen Strand und in ein Bett.

Einen Kult getrieben mit Daten, Versprechen für unkündbar erklärt,

angehimmelt ein Etwas und fromm gewesen vor einem Nichts,


( - der gefalteten Zeitung, der kalten Asche, dem Zettel mit einer Notiz)

furchtlos in der Religion, denn die Kirche war dieses Bett.


Aus dem Seeblick hervor ging meine unerschöpfliche Malerei.

Von dem Balkon herab waren die Völker, meine Nachbarn, zu grüßen.

Am Kaminfeuer, in der Sicherheit, hatte mein Haar seine äußerste Farbe.

Das Klingeln an der Tür war der Alarm für meine Freude.


Nicht dich habe ich verloren,

sondern die Welt.


Es ist Feuer unter der Erde

Es ist Feuer unter der Erde,

und das Feuer ist rein.


Es ist Feuer unter der Erde

und flüssiger Stein.


Es ist ein Strom unter der Erde,

der strömt in uns ein.


Es ist ein Strom unter der Erde,

der sengt das Gebein.


Es kommt ein großes Feuer,

es kommt ein Strom über die Erde.


Wir werden Zeugen sein.


Ich aber liege allein

Ich aber liege allein

im Eisverhau voller Wunden


Es hat mir der Schnee

noch nicht die Augen verbunden.


Die Toten, an mich gepresst,

schweigen in allen Zungen.


Niemand liebt mich und hat

für mich eine Lampe geschwungen


Mein Vogel


Was auch geschieht:

die verheerte Welt sinkt in die Dämmerung zurück,

einen Schlaftrunk halten ihr die Wälder bereit,

und vom Turm, den der Wächter verliess,

blicken ruhig und steht die Augen der Eule herab.

Was auch geschieht: du weißt deine Zeit, mein Vogel,

nimmst deinen Schleier und fliegst durch den Nebel zu mir.

Wir äugen im Dunstkreis, den das Gelichter bewohnt.

Du folgst meinem Wink, stösst hinaus

und wirbelst Gefieder und Fell –

Mein eisgrauer Schultergenoss, meine Waffe,

mit jener Feder besteckt, meiner einzigen Waffe!

Mein einziger Schmuck: Schleier und Feder von dir.

Wenn auch im Nadeltanz unterm Bam die Haut mir brennt

und der hüfthohe Strauch mich mit würzigen Blättern versucht,

wenn meine Locke züngelt, sich wiegt und nach Feuchte verzehrt,

stürzt mir der Sterne Schutt doch genau auf das Haar,

mein Vogel, mein Beistand des Nachts,

wenn ich befeuert bin in der Nacht,

knistert’s im dunklen Bestand, und ich schlage den Funken aus mir.

Wenn ich befeuert bleib wie ich bin

und vom Feuer geliebt, bis das Herz aus den Stämmen tritt,

auf die Wunden träufelt und warm die Erde verspinnt,

(und wenn du mein Herz auch ausraubst des Nachts,

mein Vogel auf Glauben und mein Vogel auf Treu!)

rückt jene Warte ins Licht,

die du, besänftigt,

in herrlicher Ruhe erfliegst –

was auch geschieht.


Erklär mir, Liebe


Dein Hut lüftet sich leis, grüßt, schwebt im Wind,

dein unbedeckter Kopf hat’s Wolken angetan,

dein Herz hat anderswo zu tun,

dein Mund verleibt sich neue Sprachen ein,

das Zittergras im Land nimmt überhand,

Sternblumen bläst der Sommer an und aus,

von Flocken blind erhebst du dein Gesicht,

du lachst und weinst und gehst an dir zugrund,

was soll dir noch geschehen –


Erklär mir, Liebe!


Der Pfau, in feierlichem Staunen, schlägt sein Rad,

die Taube schlägt den Federkragen hoch,

vom Gurren überfüllt, dehnt sich die Luft,

der Entrich schreit, vom wilden Honig nimmt

das ganze Land, auch im gesetzten Park

hat jedes Beet ein goldner Staub umsäumt.


Der Fisch errötet, überholt den Schwarm

und stürzt durch Grotten ins Korallenbett.

Zur Silbersandmusik tanzt scheu der Skorpion.

Der Käfer riecht die Herrlichste von weit;

hätt ich nur seinen Sinn, ich fühlte auch,

daß Flügel unter ihrem Panzer schimmern,

und nähm den Weg zum fernen Erdbeerstrauch!


Erklär mir, Liebe!


Wasser weiß zu reden,

die Welle nimmt die Welle an der Hand,

im Weinberg schwillt die Traube, springt und fällt.

So arglos tritt die Schnecke aus dem Haus!


Ein Stein weiß einen andern zu erweichen!


Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann:

sollt ich die kurze schauerliche Zeit

nur mit Gedanken Umgang haben und allein

nichts Liebes kennen und nichts Liebes tun?

Muß einer denken? Wird er nicht vermißt?


Du sagst: es zählt ein andrer Geist auf ihn ...

Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander

durch jedes Feuer gehen.

Kein Schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.