ENDE, Michael



Die unendliche Geschichte

…..
Bastian schüttelte den Kopf.

»Heraus mit der Sprache«, sagte Herr Koreander, »vor wem bist du weggelaufen?«

»Vor den andern.«

»Vor welchen andern?«

»Den Kindern aus meiner Klasse.«

»Warum?«

»Sie … sie lassen mich nie in Ruhe.«

»Was tun sie denn?«

»Sie lauern mir vor der Schule auf.«

»Und weiter?«

»Dann schreien sie lauter so Sachen. Sie schubsen mich herum und lachen über mich.«

»Und das lässt du dir einfach so gefallen?«

Herr Koreander betrachtete den Jungen eine Weile missbilligend und fragte dann: »Warum gibst du ihnen nicht einfach eins auf die Nase?«

Bastian schaute ihn groß an. »Nein – das mag ich nicht. Und außerdem – ich kann nicht gut boxen.«

»Und wie ist es mit Ringen?«, wollte Herr Koreander wissen. »Laufen, Schwimmen, Fußball, Turnen? Kannst du überhaupt nichts davon?«

Der Junge schüttelte den Kopf.

»Mit anderen Worten«, sagte Herr Koreander, »du bist ein Schwächling, wie?«

Bastian zuckte die Achseln.

»Aber reden kannst du doch immerhin«, meinte Herr Koreander.

»Warum gibst du ihnen nicht heraus, wenn sie dich verspotten.«

»Das hab ich einmal gemacht …«

»Na und?«

»Sie haben mich in eine Mülltonne geschmissen und den Deckel zugebunden.

Ich hab zwei Stunden gerufen, bis mich jemand gehört hat.«

»Hm«, brummte Herr Koreander, »und jetzt traust du dich nicht mehr.«

Bastian nickte.

»Also«, stellte Herr Koreander fest, »ein Angsthase bist du obendrein.«

Bastian senkte den Kopf.

»Wahrscheinlich bist du ein rechter Streber, wie? Der Klassenbeste mit lauter Einsern, der Liebling aller Lehrer, nicht wahr?«

»Nein«, sagte Bastian und hielt immer noch den Blick gesenkt, »ichbin letztes Jahr sitzen geblieben.«

»Gott im Himmel!«, rief Herr Koreander. »Also ein Versager auf der ganzen Linie.«

Bastian sagte nichts. Er stand einfach nur da. Seine Arme hingen herunter, sein Mantel tropfte.

»Was schreien sie denn so, wenn sie dich verspotten?«, wollte Herr Koreander wissen.
…..
Wer niemals ganze Nachmittage lang mit glühenden Ohren und verstrubbeltem Haar über einem Buch saß und las und las und die Welt um sich her vergaß, nicht mehr merkte, daß er hungrig wurde oder fror -

Wer niemals heimlich beim Schein einer Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen hat, weil Vater oder Mutter oder sonst irgendeine besorgte Person einem das Licht ausknipste mit der gutgemeinten Begründung, man müsse jetzt schlafen, da man doch morgen so früh aus den Federn sollte -

Wer niemals offen oder im geheimen bitterliche Tränen vergossen hat, weil eine wunderbare Geschichte zu Ende ging und man Abschied nehmen mußte von den Gestalten, mit denen man gemeinsam so viele Abenteuer erlebt hatte, die man liebte und bewunderte, um die man gebangt und für die man gehofft hatte, und ohne deren Gesellschaft einem das Leben leer und sinnlos schien -

Wer nichts von alledem aus eigener Erfahrung kennt, nun, der wird wahrscheinlich nicht begreifen können, was Bastian jetzt tat.

…..