MORGENSTERN, Christian
Das Nasobēm,
Auf seinen Nasen schreitet
einher das Nasobēm,
von seinem Kind begleitet.
Es steht noch nicht im Brehm.
Es steht noch nicht im Meyer.
Und auch im Brockhaus nicht.
Es trat aus meiner Leyer
zum ersten Mal ans Licht.
Auf seinen Nasen schreitet
(wie schon gesagt) seitdem,
von seinem Kind begleitet,
einher das Nasobēm.
Berlin
Ich liebe dich bei Nebel und bei Nacht,
wenn deine Linien ineinander schwimmen, -
zumal bei Nacht, wenn deine Fenster glimmen
und Menschheit dein Gestein lebendig macht.
Was wüst am Tag, wird rätselvoll im Dunkel;
wie Seelenburgen stehn sie mystisch da,
die Häuserreihn, mit ihrem Lichtgefunkel;
und Einheit ahnt, wer sonst nur Vielheit sah.
Der letzte Glanz erlischt in blinden Scheiben;
in seine Schachteln liegt ein Spiel geräumt;
gebändigt ruht ein ungestümes Treiben,
und heilig wird, was so voll Schicksal träumt.
Bezauberung
Ich ging einmal des abends, den du kennst, den Weg,
mit einem Freund, der mir von seinen Plänen sprach.
Da ward mir seltsam: Wie ich schweigend neben ihm
und halb ihm lauschend ging im Dämmerlicht, geschah's,
dass ich mich selbst als Dich empfand, als gingest Du
in mir und lauschtest, wie ich seinem, meinem Wort..
Und leise nickt' und murmelt' ich ihm zu,
mein Augenaufschlag war der Deine, Dein mein Leib
in jeglicher Bewegung bis ins Innerste ..
Und deine scheue Jungfraunseele liebte mich aus mir..
Es ist Nacht
Es ist Nacht,
und mein Herz kommt zu dir,
hält's nicht aus,
hält's nicht aus mehr bei mir.
Legt sich dir auf die Brust,
wie ein Stein,
sinkt hinein,
zu dem deinen hinein.
Dort erst,
dort erst kommt es zur Ruh,
liegt am Grund
seines ewigen Du.
Die unmögliche Tatsache
Palmström, etwas schon an Jahren,
wird an einer Straßenbeuge
und von einem Kraftfahrzeuge
überfahren.
»Wie war» (spricht er, sich erhebend
und entschlossen weiterlebend)
»möglich, wie dies Unglück, ja -:
daß es überhaupt geschah?
Ist die Staatskunst anzuklagen
in bezug auf Kraftfahrwagen?
Gab die Polizeivorschrift
hier dem Fahrer freie Trift?
Oder war vielmehr verboten,
hier Lebendige zu Toten
umzuwandeln, - kurz und schlicht:
Durfte hier der Kutscher nicht -?»
Eingehüllt in feuchte Tücher,
prüft er die Gesetzesbücher
und ist alsobald im klaren:
Wagen durften dort nicht fahren!
Und er kommt zu dem Ergebnis:
»Nur ein Traum war das Erlebnis.
Weil», so schließt er messerscharf,
»nicht sein kann, was nicht sein darf.»
Am Meer
Wie ist dir nun,
meine Seele?
Von allen Märkten
des Lebens fern,
darfst du nun ganz
dein selbst genießen.
Keine Frage
von Menschenlippen
fordert Antwort.
Keine Rede
noch Gegenrede
macht dich gemein.
Nur mit Himmel und Erde
hältst du
einsame Zwiesprach.
Und am liebsten
befreist du
dein stilles Glück,
dein stilles Weh
in wortlosen Liedern.
Wie ist dir nun,
meine Seele?
Von allen Märkten[33]
des Lebens fern
darfst du nun ganz
dein selbst genießen.
Gib mir den Anblick deines Seins, o Welt
Gib mir den Anblick deines Seins, o Welt...
Den Sinnenschein laß langsam mich durchdringen...
So wie ein Haus sich nach und nach erhellt,
bis es des Tages Strahlen ganz, durchschwingen -
und so wie wenn dies Haus dem Himmelsglanz
noch Dach und Wand zum Opfer könnte bringen -
dass es zuletzt, von goldner Fülle ganz
durchströmt, als wie ein Geisterbauwerk stände,
gleich einer geistdurchleuchteten Monstranz:
So möchte auch die Starrheitm einer Wände
sich lösen, dass dein volles Sein in mein,
mein volles Sein in dein Sein Einlass fände -
und so sich rein vereinte Sein mit Sein.
Heimfahrt einer einsamen Frau aus einer Gesellschaft
Einsam fährt sie im Wagen nach Haus,
das Fest ist aus.
Der Schwarm zertrieb…
Wer hat sie lieb?
Sie schaudert und friert.
Wie sich so alles hinweg verliert
ins Unabsehbare,
ins Unverstehbare.
Wo bliebt, Freunde, ihr?
Nur die Furcht sitzt neben mir.
Was seid ihr so weit!
Mein Herz schreit – schreit – schreit.
Ein jeder mit seiner Lust,
ein jeder mit seiner Pein,
jedes Herz in seiner Brust
allein, allein, allein.
O wilder Vogel Seele,
den nie einer fängt!
o wilder Vogel Seele,
der nie sein Herz an andre hängt!
Hier im Wald mit dir zu liegen ...
Hier im Wald mit dir zu liegen,
moosgebettet, windumatmet,
in das Flüstern, in das Rauschen
leise liebe Worte mischend,
öfter aber noch dem Schweigen
lange Küsse zugesellend,
unerschöpflich - unersättlich,
hingegebne, hingenommne,
ineinander aufgelöste,
zeitvergessne, weltvergessne.
Hier im Wald mit dir zu liegen,
moosgebettet, windumatmet ...
Du bist mein Land
Du bist mein Land,
ich deine Flut,
die sehnend dich ummeeret;
Du bist der Strand,
dazu mein Blut
ohn' Ende wiederkehret.
An dich geschmiegt,
mein Spiegel wiegt
das Licht der tausend Sterne;
und leise rollt
dein Muschelgold
in meine Meergrundferne.
Die Trichter
Zwei Trichter wandeln durch die Nacht.
Durch ihres Rumpfs verengten Schacht
fliesst weisses Mondlicht
still und heiter
auf ihren
Waldweg
u.s.
w.