LIEPMAN, Heinz



Karlchen oder die Tücken der Tugend

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Der mit dem Regenmantel stoppte scharf, als habe ihn wer an einem Draht zurückgezuckt. Er wandte sich um, starrte Karlchen mit leeren Augen an. Der in Uniform begriff langsamer, er runzelte zwar die Stirn, weil da etwas passierte, was nicht zur Ordnung gehörte, jemand macht einen Witz, das gehört sich nicht, er in Ausübung seines Dienstes — er runzelte Karlchen an. Karlchen hatte seine Stimme wiedergefunden, er wiederholte, eifrig, das Wohlwollen des Polizisten zurückzugewinnen: »Ich habe keine Fahrkarte; ich werde sofort verschwinden, ich muß nur noch mein Bier bezahlen ...« »So ...« Der mit dem Regenmantel hatte sich plötzlich verwandelt. Er war beleidigt worden in Ausübung seiner Pflicht. Seine Stimme war offiziell, schneidig, scharf: »Das ist ja liebenswürdig von Ihnen, daß Sie gleich verschwinden wollen. Sie wissen ganz genau, daß es streng verboten ist, im Wartesaal rumzulungern nach Mitternacht ohne Fahrkarte. Ich will Ihren Ausweis sehen, wenn Sie einen haben ...« Und während er auf eine Antwort wartete, wandte er sich an den Bahnpolizisten und wurde strategisch. »Stellen Sie sich am Ausgang auf, daß uns keiner abhaut. Nur die ich von jetzt an kontrolliert habe, dürfen raus. Die Kerle denken, wir wären zum Spaß hier. Das hat man davon, wenn man menschlich ist.« Er erhob seine Rasiermesserstimme, sie schnitt durch den Mief und die Tabakwolken und die Müdigkeit: »Alles mal herhören ... Fahrkartenkontrolle, Herrschaften. Ich möchte jetzt die Fahrkarten sehen. Und wer keine hat, Ausweise bereithalten. Werden euch mal zeigen, daß wir auch dienstlich sein können.« Die vielen Menschen in dem großen Wartesaal gerieten in Bewegung. Sie erhoben sich mit grauen Gesichtern von den Bänken, sie nahmen die Zeitungen von den Augen und Stirnen, blickten sich um, wohin sie entfliehen könnten. Kinder wachten auf und begannen zu plärren. Der Kellner war plötzlich hellwach und fing eilig an zu kassieren. Jeder sah vorsichtig, mißtrauisch, feindselig auf den Nachbarn. Der neben Karlchen auf der Bank gelegen hatte, setzte sich langsam, schwerfällig auf, reckte sich. »Du Schweinehund«, sagte er ohne Leidenschaft zu Karlchen, »jetzt muß ich wieder in 'n Knast, wo ich doch Bewährung habe ...« Die blonde junge Frau mit den beiden Kindern starrte Karlchen an, offenen Mundes, verständnislos, ihre Augen schwer vor Müdigkeit. Sie schüttelte den Kopf und sagte vor sich hin, aber er hörte sie genau. »So dämlich wie Sie möchte ich auch mal sein — dann kann einem doch gar nichts passieren

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Das Vaterland

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Wen habe ich denn da auf meinem Schiff, dachte Schirmer. Er fühlte sich sehr unbehaglich. – Aber er ist ein guter Seemann, redete er sich gut zu. Da fiel ihm wieder ein, dass er diesen Mann, der eben “Land” gesagt hatte, als ob er gähne, seit dem zweiten Weihnachtstage an bord neben sich habe, Tag und Nacht, Stunde um Stunde, dass er mit ihm vor Island in Eis und Not Kamerad unter Kameraden war, über zwei Monate lang, Stunde um Stunde; da war er plötzlich versucht zu beten; und wie als Knabe richtete er auch jetzt seine Augen nach oben: Lieber Gott, danke, dass das gut gegangen ist!

Ihm kam eine Gedanke:

“Sind Sie Deutscher?” fragte er leise, damit Hannes am Steuer es nicht hören sollte? Aber Hannes hörte es.

“Wie?”

“Ob sie Deutscher sind?”

Einen Augenblick schien es, als ob Petersen verblüfft sei, ein Schatten ging über sein Gesicht.
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