HAFFNER, Ernst
Blutsbrüder
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Wartesaal der Ewige Hilfe. In den dazugehörigen Büros werden die Anträge auf Gewährung der Erwerbslosenhilfe gestellt. Die amtliche Abkürzung „E. H.“ hat eine bissige Schnoddrigkeit in Ewige Hilfe umgedeutet. Bereits jetzt, eine halbe Stunde nach Öffnung, ist der große Saal überfüllt. Die wenigen Bänke sind bis auf das letzte Plätzchen besetzt. Die keinen Sitzplatz mehr fanden, stehen im Gang herum oder lehnen sich an die beiden Längswände, die von abertausenden anlehnenden Menschenrücken scheußliche, fettigschwarze Flecken bekommen haben. Ein unsäglich trostloses Licht des grauen Tages mischt sich mit dem Schein der schwachen elektrischen Birne und schafft so ein Zwitterlicht, in dem die Gesichter der Wartenden noch elender, noch verhungerter erscheinen. Hinter den beiden Querwänden sind die hellen sauberen Büroräume. Obwohl man in den Wänden auch Türen nicht vergessen hat, hat man noch extra je ein viereckiges Loch — Größe Beamtenkopf der unteren Gehaltstufen — in die Wände gestemmt. Unmittelbar neben den Türen. Um jede unnötige Berührung mit dem wartenden Plebs zu vermeiden, rufen die Beamten die Nummern nicht durch die Türen. Nein: die Klappe wird aufgerissen, fein gerahmt erscheint ein Mannskopf und brüllt die Nummer aus. Dann fliegt die Klappe schleunigst wieder zu. Die aufgerufene Nummer — erst im Büro stellt sich heraus, daß sie Meyer Gustav oder Abrameit, Frieda heißt — trottet durch die Tür neben der Klappe ins Büro. Bei jedem Aufruf der Nummer fliegen die Köpfe der Wartenden hoch. Zuweilen kommt es vor, daß sich an den beiden Wänden zugleich die Klappen öffnen. Dann fliegen — ruck — alle Köpfe hoch, — zuck — alle Köpfe nach hinten.
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