MANN, Heinrich
Professor Unrat
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Es waren alles jüngere Leute, und die meisten hatten zum Stammpublikum im Blauen Engel gehört. Solange sie in geringer Zahl waren, betrugen sie sich, unfähig, in einen rein menschlichen Verkehr mit Unrat hineinzufinden, scheu und frech; ulkten hinter seinem Rücken und fielen, wenn sie für ihre Witze einstehen sollten, in schülerhafte Demut zurück. Dann vermehrten sie sich, und der einzelne ward zum unverantwortlichen Zuschauer. Keine Vertraulichkeit fälschte mehr die Stimmung. Es war, als sei Unrat mit seiner Truppe einfach in ein kleineres Lokal übergesiedelt, wo man mit den Damen bequemer verkehren konnte. Dazu ward hier später geschlossen, und immer erst, wenn man freiwillig wegging. Einmal, als nur noch wenige da waren, bestimmte Lorenzen sie zu einem Baccara. Unrat bekundete Neugier, ließ sich das Spiel erklären und übernahm, als er es begriffen hatte, die Bank. Er gewann. Sobald dies aufhörte, gab er die Bank ab. Lorenzen fühlte sich, als Anreger der Partie, dazu gedrängt, Leben hineinzubringen. Er entnahm seiner Brieftasche Hundertmarkscheine in rascher Folge. Mehrere bekamen rote Köpfe und bedauerten einmal über das andere, nicht mehr Geld zu sich gesteckt zu haben. Der Bankier war wieder im Glück. Die Künstlerin Fröhlich glitt hinter ihren Mann und raunte: »Siehste woll? Was hast du denn die Bank nich behalten, oller Dussel.«
Unrat erwiderte: »Der Hut im Preise von achtzig Mark ist dein, meine Liebe. Auch bin ich in der Lage, dem Restaurateur Zebbelin vorläufig den Mund zu stopfen. Mag’s damit genug sein.«
Er sah gelassen den Lorenzenschen Banknoten nach, die nicht er selbst einsteckte. Worauf es ankam: der Schüler Lorenzen verlor sie; und Unrat, rascheren Atems, fühlte sich auf dem von unterirdischem Beben leise erschütterten Weg zum Triumph. Wie Lorenzen schließlich ernüchtert und mit einfältigem Gesicht in seine leere Brieftasche glotzte, ging Unrat auf ihn zu und versetzte: »Mag’s denn genug sein für heute, Lorenzen, mit unserer griechischen Stunde.
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Und auf einmal sah er ihr Gesicht von gestern wieder, das ganz bunte. Die Künstlerin Fröhlich sass erst jetzt vor ihm, die eigentliche. Er hatte sie entstehen sehen und merkte es erst jetzt. Ein flüchtiger Blick eröffnete sich ihm auf die Küche, in der Schönheit, List, Seele gemacht wird. Er war enttäuscht und eingeweiht. Er dachte gleich hintereinander: "Weiter ist es nichts?" und "Das ist aber grossartig!" Das Herz klopfte ihm – und inzwischen rieb die Künstlerin Fröhlich sich die farbigen Fette, die es ins Klopfen gebracht hatten, mit einem Tuch von den Händen.
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Der Untertan
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Diederich brachte sich in Ordnung und verließ das Haus in guter Haltung. Um so schlimmer für Mahlmann, wenn er sich so aufführte! Diederich hatte sich nichts vorzuwerfen; vor einem Ehrengericht wäre er glänzend dagestanden. Etwas höchst Anstößiges blieb es, daß ein einzelner sich so viel erlauben konnte; Diederich war gekränkt im Namen sämtlicher Korporationen. Andererseits war es nicht zu leugnen, daß Mahlmann Diederichs alte Hochachtung wieder beträchtlich aufgefrischt hatte. „Ein ganz gemeiner Hund“, dachte Diederich. „Aber so muß man sein
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