WALSER, Robert



Jakob von Gunten

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Ich mag mich sehr, sehr gern am Herausschallen des Lachens verhindern lassen. Das kitzelt so wunderbar: es nicht loslassen dürfen, was doch so gern herausschießen möchte. Was nicht sein darf, was in mich hinab muß, ist mir lieb. Es wird dadurch peinlicher, aber zugleich wertvoller, dieses Unterdrückte.

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Ich muß dir ein Geständnis machen, Jakob. Höre, ich halte dich für einen klugen, anständigen jungen Menschen. Jetzt, bitte, werde frech. Und ich fühle mich veranlasst dir noch etwas anderes zu gestehen: ich, dein Vorsteher, ich meine es gut mit dir. Und noch ein drittes Geständnis: ich habe eine seltsame, eine ganz eigentümliche, jetzt nicht mehr zu beherrschende Vorliebe für dich gewonnen. Du wirst jetzt mir gegenüber frech sein, nicht wahr, Jakob? Nicht wahr, junger Mensch, jetzt, nachdem ich mir vor dir eine Blöße gegeben habe, wirst du’s wagen, mich mit Wegwerfung zu behandeln? Und du wirst jetzt trotzen? Ist es so, sage, es ist so?

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Wenn ich innerlich zerspringe vor Lachen, wenn ich kaum noch weiß, wo ich all das zischende Pulver hintun soll, dann weiß ich, was Lachen ist, dann habe ich am lächerigsten gelacht, dann habe ich eine vollkommene Vorstellung dessen gehabt, was mich erschütterte. Ich muß demnach unbedingt annehmen und als feste Überzeugung aufbewahren, daß Vorschriften das Dasein versilbern, vielleicht sogar vergolden, mit einem Wort reizvoll machen.

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Doch, sage du, was habe jetzt eigentlich ich dir zukünftig noch zu gestatten und zu verbieten? Ich, der ich dich soeben davon überzeugt habe, daß ich fast, fast abhängig von dir bin? Mich schaudert’s, mich empört’s und beglückt es zu gleicher Zeit, Jakob, was ich da angestellt habe. Doch ich liebe zum erstenmal einen Menschen. Doch das fassest du nicht.

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Der Tänzer

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Ich sah einst im Theater einen Tänzer, der mir und vielen anderen Leuten, die ihn ebenfalls sahen, einen tiefen Eindruck machte. Er verspottete den Boden mit seinen Beinen, so wenig Schwere kannte er, und so leicht schritt er dahin. Eine graziöse Musik spielte zu seinem Tanz, und wir alle, die im Theater saßen, dachten darüber nach, was wohl schöner und süßer könne genannt werden, die leichtfertigen lieblichen Töne oder das Spiel von des lieben, schönen Tänzers Beinen. Er hüpfte daher wie ein artiges sprungfertiges, wohlerzogenes Hündchen, welches, indem es übermütig umher- springt, Rührung und Sympathie erweckt. Gleich dem Wiesel im Walde lief er über die Bühne, und wie der ausgelassene Wind tauchte er auf und verschwand er. - Solcherlei Lustigkeit schien keiner von allen denen, die im Theater saßen, je gesehen oder für möglich gehalten zu haben. Der Tanz wirkte wie ein Märchen aus unschuldigen, alten Zeiten, wo die Menschen, mit Kraft und Gesundheit ausgestattet, Kinder waren, die miteinander in königlicher Freiheit spielten. Der Tänzer selber wirkte wie ein Wunderkind aus wunderbaren Sphären. Wie ein Engel flog er durch die Luft, die er mit seiner Schönheit zu versilbern, zu vergolden und zu verherrlichen schien. Es war, als liebe die Luft ihren Liebling, den gött- lichen Tänzer. Wenn er aus der Luft niederschwebte, so war es we- niger ein Fallen als ein Fliegen, ähnlich wie ein großer Vogel fliegt, der nicht fallen kann, und wenn er den Boden wieder mit seinen leichten Füßen berührte, so setzte er auch sogleich wieder zu neuen kühnen Schritten und Sprüngen an, als sei es ihm unmöglich, je mit Tanzen und Schweben aufzuhören, als wolle, als solle und als müsse er unaufhörlich weitertanzen. Indem er tanzte, machte er den schönsten Eindruck, den ein junger Tänzer zu machen vermag, nämlich den, daß er glücklich sei im Tanze. Er war selig durch die Ausübung seines Berufes. Hier machte einmal die gewohnte tägliche Arbeit einen Menschen selig - aber es war ja nicht Arbeit, oder aber er bewältigte sie spielend, gleich, als scherze und tändele er mit den Schwierigkeiten, und so, als küsse er die Hindernisse, derart, daß sie ihn lieb gewinnen und ihn wieder küssen mußten. Einern heiteren, über und über in Anmut getauchten Königssohne aus dem goldenen Zeitalter glich er, und alle Sorgen und Bekümmernisse, alle unschönen Gedanken schwanden denen dahin, die ihn anschau- ten. Ihn anschauen hieß ihn gleich auch schon lieben und verehren und bewundern. Ihn seine Kunst ausüben sehen, hieß für ihn schwärmen. Wer ihn gesehen hatte, träumte und phantasierte noch lang nachher von ihm.

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