BECHER, Johannes R.
Müde
Müde bin ich alles dessen,
All der Pein, jahraus, jahrein,
Und ich will nichts als vergessen
Und will selbst vergessen sein.
O wie müd bin ich des allen,
All der jahrelangen Pein.
Herbstzeit ist. Die Blätter fallen.
Und wir gehn ins Dunkel ein.
Schlachtfeld um Stalingrad
Als hätte eine Welt hier ausgeleert
Ihr Hirn, ihr Blut und ihre Eingeweide,
Dazwischen bunter Stoff zu einem Kleide
- Ein Brillenglas blieb dabei unversehrt –
Ein Grammophon mit Walzermelodie –
Die Toten halten feil noch ihre Waren –
Von Bomben aufgesprengt und platt gefahren
Von Panzerketten: also lagen sie …
Ich sah sie liegen, und ein jeder lag
An seinem Platz und hatte Platz gefunden,
Und alle hatten sie nur ein Gesicht.
Es war ein grau verwölkter Wintertag,
Und dann fiel Schnee und deckte alle Wunden –
Und Stille war … Hier sprach das Weltgericht.
Der Lesende
Er hat das Buch verwundert aufgeschlagen,
In weisser Stille blätternd, bis es spricht,
Und hat es zitternd vor sich her getragen,
Er sitzt im Zug und liest. Er rückt ins Licht.
Die Verse drängen ihn, sie mitzusagen,
Und überziehen glanzvoll das Gesicht.
Bald schwingen sie, ihn wiegend durch den Wagen,
So fährt er mit dem Zug durch ein Gedicht.
Gebannt ist noch der Blick, umspannt vom Rand.
Dann schaut er auf vom Buch, schaut in die Weite.
Und während er das Buch entgleiten lässt,
Legt er dazwischen seine eine Hand.
Als hielte er so die gelesene Seite
Mit seiner Hand, auch mit der Hand, ganz fest ...
Neckar bei Nürtingen
Die Ufer sind so flach, daß auch die Wiesen
Sanft mitzufließen scheinen mit dem Fluß.
Ein uferloses reines Überfließen.
Ein Überfluß, drin alles mitziehem muß!
Die Apfelbäume blühn. Ein weicher Schimmer
Liegt überm Land. Es blüht aus dir heraus.
Still. Nur der Fluß, das Blühen … Ich wünsche mir: immer
Möcht ich hier sein. Hier bin ich ganz zu Haus
An einem Holztisch sitz ich in der Laube.
Und schenk mir ein aus einem hohen Krug.
Die Nacht, wenn ich auch nicht an Gott mehr glaube,
Ist wundervoll und rätselhaft genug.
Deutschland meine Trauer
Heimat, meine Trauer,
Land im Dämmerschein,
Himmel, du mein blauer,
Du mein Fröhlichsein.
Einmal wird es heißen:
Als ich war verbannt;
Hab ich, dich zu preisen,
Dir ein Lied gesandt.
War, um dich zu einen,
Dir ein Lied geweiht,
Und mit Dir zu weinen
In der Dunkelheit ...
Himmel schien, ein blauer,
Friede kehrte ein -
Deutschland, meine Trauer,
Du, mein Fröhlichsein.
Turm von Babel
Das ist der Turm von Babel,
Er spricht in allen Zungen.
Und Kain erschlägt den Abel
Und wird als Gott besungen.
Er will mit seinem Turme
Wohl in den Himmel steigen
Und will vor keinem Sturme,
Der ihn umstürmt, sich neigen.
Gerüchte aber schwirren,
Die Wahrheit wird verschwiegen.
Die Herzen sich verwirren –
So hoch sind wir gestiegen!
Das Wort wird zur Vokabel,
Um sinnlos zu verhallen.
Es wird der Turm zu Babel
Im Sturz zu nichts zerfallen.
Verfall
Unsere Leiber zerfallen,
Graben uns singend ein:
Berauschte Abende wir,
Nachtsturm- und meerverscharrt.
Heißes Blut vertrocknet,
Eitergeschwür verrinnt.
Mund Ohr Auge verhüllet
Schlaf Traum Erde der Wind.
Gelblich träger Würmmer
Enggewundener Gang.
Pochen rollender Stürme.
Wimpern, blutrot lang.
..."Bin ich zerbröckelnde Mauer,
Säule am Wegrand, die schweigt?
Oder Baum der Trauer
Über dem Abgrund, geneigt?"...
Süßer Geruch der Verwesung,
Raum, Haus, Haupt erfüllend.
Blumen, flatternde Gräser,
Vögel, Lieder quillend.
"Ja - , verfaulter Stamm... "
Schimmel. Geächz. Gestöhn.
Unter wimmelnder Himmel Flucht
Furchtbarer Laut ertönt:
Pauke. Tube Gedröhn.
Donner. Wildflammiges Licht.
Zimbel. Schlagender Ton.
Trommelgeschrill. Das zerbricht. -
Der ich mich dir, weite Welt,
Hingab, leicht vertrauend,
Sieh, der arme Leib verfällt,
Doch mein Geist die Heimat schaut.
Nacht, dein Schlummer tröstet mich,
Mund ruht tief und Arm.
Heller Tag, du lösest mich
Auf in Unruh ganz und Harm.
Daß ich keinen Ausweg finde,
Ach, so weh zerteilt!
Blende bald, bald blind und Blinde.
Daß kein Kuß mich heilt!
Daß ich keinen Ausweg finde,
Trag wohl ich nur Schuld:
Wildstrom, Blut und Feuerwind,
Schande, Ungeduld.
Tag, du herbe Bitternis!
Nacht, gib Traum und Rat!
Kot Verzerrrung Schnitt und Riß -
Kühle Lagerstatt ...
Alles muß noch ferne sein,
Fern, o fern von mir -
Blüh empor im Sternenschein,
Heimat, über mir!
Einmal werde ich am Wege stehn,
Versonnen, im Anschaun einer großen Stadt.
Umronnen von goldner Winde Wehn.
Licht fällt durch der Wolken Flucht matt.
Verzückte Gestalten, in Weiß gehüllt...
Meine Hände rühren
An Himmel, golderfüllt,
Sich öffnend gleich Wundertüren.
Wiesen, Wälder ziehen herauf.
Gewässer sich wälzen. Brücken.
Gewölbe. Endloser Ströme Lauf.
Grauer Gebirge Rücken.
Rotes Gedonner entsetzlich schwillt.
Drachen, Erde speiend.
Aufgerissener Rachen, die Sonne brüllt.
Empörung. Lachen. Geschrei.
Verfinsterung. Erde- und Blutgeschmack.
Knäuel. Gemetzel weit...
..."Wann erscheinest du, ewiger Tag?
Oder hat es noch Zeit?
Wann ertönest du, schallendes Horn,
Schrei du der Meerflut schwer?
Aus Dickicht, Moorgrund, Grab und Dorn
Rufend die Schläfer her?"...