BIERMANN, Wolf



Und als wir ans Ufer kamen


Und als wir ans Ufer kamen

Und saßen noch lang im Kahn

Da war es, daß wir den Himmel

Am schönsten im Wasser sahn

Und durch den Birnbaum flogen

Paar Fischlein. Das Flugzeug schwamm

Quer durch den See und zerschellte

Sachte am Weidenstamm

am Weidenstamm.


Was wird bloß aus unsern Träumen

In diesem zerrissenen Land

Die Wunden wollen nicht zugehn

Unter dem Dreckverband

Und was wird aus unsern Freunden

Ich möchte noch was aus dir, aus mir –

Ich möchte am liebsten weg sein

Und bleibe am liebsten hier



Ballade vom preussischen Ikarus


Da, wo die Friedrichstraße sacht

den Schritt über das Wasser macht

da hängt über der Spree

die Weidendammerbrücke. Schön

kannst du da Preußens Adler sehn

wenn ich am Geländer steh.


dann steht da der preußische Ikarus

mit grauen Flügeln aus Eisenguß

dem tun seine Arme so weh

er fliegt nicht weg - er stürzt nicht ab

macht keinen Wind - und macht nicht schlapp

am Geländer über der Spree


Der Stacheldraht wächst langsam ein

tief in die Haut, in Brust und Bein

ins Hirn, in graue Zelln

Umgürtet mit dem Drahtverband

ist unser Land ein Inselland

umbrandet von bleiernen Welln


da steht der preußische Ikarus

mit grauen Flügeln aus Eisenguß

dem tun seine Arme so weh

er fliegt nicht hoch - und er stürzt nicht ab

macht keinen Wind - und macht nicht schlapp

am Geländer über der Spree


Und wenn du wegwillst, mußt du gehn

ich hab schon viele abhaun sehn

aus unserem halben Land

Ich halt mich fest hier, bis mich kalt

dieser verhaßte Vogel krallt

und zerrt mich übern Rand


dann bin ich der preußische Ikarus

mit grauen Flügeln aus Eisenguß

dann tun mir die Arme so weh

dann flieg ich hoch - dann stürz ich ab

macht bißchen Wind - dann mach ich schlapp

am Geländer über der Spree



Das Hölderlin-Lied

So kam ich unter die Deutschen

In diesem Lande leben wir
wie Fremdlinge im eigenen Haus
Die eigene Sprache, wie sie uns
entgegenschlägt, verstehen wir nicht
noch verstehen, was wir sagen
die unsre Sprache sprechen
In diesem Lande leben wir wie Fremdlinge
In diesem Lande leben wir
wie Fremdlinge im eigenen Haus

Durch die zugenagelten Fenster dringt nichts
nicht wie gut das ist, wenn draußen regnet
noch des Windes übertriebene Nachricht
vom Sturm
In diesem Lande leben wir wie Fremdlinge

In diesem Lande leben wir
wie Fremdlinge im eigenen Haus
Ausgebrannt sind die Öfen der Revolution
früherer Feuer Asche liegt uns auf den Lippen
kälter, immer kältre Kälten sinken in uns
Über uns ist hereingebrochen
solcher Friede!
solcher Friede
Solcher Friede.



Lied Vom Donnernden Leben


Das kann doch nicht alles gewesn sein

Das bißchen Sonntag und Kinderschrein

das muß doch noch irgendwo hin gehn

hin gehn


Die Überstunden, das bißehen Kies

Und aabns inner Glotze das Paradies

da in kann ich doch keinen Sinn sehn

Sinn sehn


Das kann doch nich alles gewesn sein

Da muß doch noch irgend was kommen! nein

da muß doch noch Leebn ins Leebn

eebn


He, Kumpel, wo bleibt da im Ernst mein Spaß?

Nur Schaffn und Raffn und Hustn und Haß

und dann noch den Löffl abgebn

gebn


Das soll nun alles gewesn sein

Das bißchen Fußball und Führerschein

das war nun das donnernde Leebn

Leebn


Ich will noch’n bißehen was Blaues sehn

Und will noch paar eckige Rundn drehn

und dann erst den Löffel abgebn

eebn


Ermutigung


Peter Huchel gewidmet


Du, laß dich nicht verhärten

In dieser harten Zeit

Die all zu hart sind, brechen,

Die all zu spitz sind, stechen

und brechen ab sogleich


Du, laß dich nicht verbittern

In dieser bittren Zeit

Die Herrschenden erzittern

-- sitzt du erst hinter Gittern--

Doch nicht vor deinem Leid


Du, laß dich nicht erschrecken

In dieser Schreckenszeit

Das wolln sie doch bezwecken

Daß wir die Waffen strecken

Schon vor dem großen Streit


Du, laß dich nicht verbrauchen

Gebrauche deine Zeit

Du kannst nicht untertauchen

Du brauchst uns, und wir brauchen

Grad deine Heiterkeit


Wir wolln es nicht verschweigen

In dieser Schweigezeit

Das Grün bricht aus den Zweigen

Wir wolln das allen zeigen

Dann wissen sie Bescheid