SAFRANSKI, Rüdiger
Einzeln sein
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Macht ist möglich, weil die Menschen getäuscht werden wollen, und sie ist nötig, weil die Menschen zum Bösen neigen und nur durch Gewalt im Zaum gehalten werden können. Durch Gewöhnung und gute Regierung kann es dahin kommen, dass die Untertanen eine gewisse Anhänglichkeit an ihre Machthaber entwickeln und, von Friedenszeiten begünstigt, sogar zivile Tugenden entwickeln. Auf diesem Boden können da und dort Republiken entstehen, die aber auch die Erhaltung der Staatssouveränität über alles stellen müssen. Auch für sie gilt, so erläutert er an anderer Stelle, dass sie sich nicht primär an der Wohlfahrt der Bürger, sondern eben an der Bewahrung der Staatssouveränität nach innen und außen zu orientieren haben. Unhintergehbar bleibt für ihn die geschichtliche Arena der Staaten und Mächte, die untereinander im ewigen Streit liegen und einen Kampf um Selbstbehauptung führen.
Das individualistische Denken der Renaissance entdeckt in der Staatenwelt einen Individualismus zweiter Ordnung. Die traditionellen überwölbenden Mächte, Reich, Kaisertum, Papsttum, werden als real existierende Mächte zwar in Rechnung gestellt, ihre charismatische Bedeutung einer Über-Ordnung allerdings haben sie verloren.
In der Konkurrenz der Mächte herrscht blanker Nihilismus. Kein Himmel wölbt sich über diese selbstbezüglichen irdischen Mächte, die keinem Gott, keinem »höheren« Wert dienen.
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