ZUCKMAYER, Carl



Der Hauptmann von Köpenick

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Zweite Szene


Personen: Oberwachtmeister, Wachtmeister, Wilhelm Voigt


Polizeibüro in Potsdam. Geschlossene Fenster, muffige Luft, viel Papier, Akten- und Kassenschrank. An der Wand Kaiserbild, Verordnungstafeln, Gendarmeriesäbel und Pickelhauben an Kleiderhaken. OBERWACHTMEISTER und WACHTMEISTER sitzen einander gegenüber an Schreibtischen. WILHELM VOIGT, Hut und Paket in der Hand, steht dicht beim OBERWACHTMEISTER hinter einer niedrigen hölzernen Schranke. Der OBERWACHTMEISTER schreibt mit kratzender Feder, der WACHTMEISTER klebt Marken auf Stempelpapier. Aus der Ferne erklingt das Potsdamer Glockenspiel.


OBERWACHTMEISTER (zieht seine Taschenuhr, kontrolliert ) Zwölfe. (Er löscht ab, klappt Aktendeckel zusammen.)

VOIGT Pardong, Herr Wachtmeister, ick wollte mir nur mal erkundigen –

OBERWACHTMEISTER Erstens ist von zwölf bis zwei geschlossen, das könnense draußen an der Türe lesen. Zweitens bin ich kein »Wachmeester«, sondern Oberwachtmeister und Reviervorsteher, das erkennt man an den Knöpfen und am Portepee.
VOIGT Na, denn vazeihnse mal, Herr Kommissär, ick warte nu schon seit halber zwelfe –

OBERWACHTMEISTER Drittens tretense mal 'n halben Schritt zurück. In einem Amtsraum hat ein Unbefugter so viel Abstand zur diensttuenden Behörde zu wahren, dass er die Aufschrift auf den Aktendeckeln mit bloßem Auge nicht erkennen kann. Da kann ja jeder kommen und uns einfach über die Schulter kucken. Habense noch nie was vom Amtsgeheimnis gehört?

VOIGT Pardong, Herr Oberwachtmeester, ick hab ja 'n kurzes Ooge, zum Lesen da brauch ick ne Brille. Und mitn Amtsjeheimniss, da mecht ick mir jahnich inkrimmenieren, bei sowat seh'ck ieberhaupt lieber wech. Ick wollte mir nur mal heflichst erkundigt haben, wie det mit meine nachjesuchte Aufenthaltserlaubnis bestellt is, ick warte ja nu schon –

OBERWACHTMEISTER Sie heißen?

VOIGT Voigt, Wilhelm.

OBERWACHTMEISTER Schlickmann, mal rasch die Personalakten U – Z. Alter?

VOIGT Sechsundvierzig Jahre.

OBERWACHTMEISTER Beruf?

VOIGT Schuster.

OBERWACHTMEISTER Geboren in?

VOIGT Klein-Pinchow.

OBERWACHTMEISTER Wo is denn das?

VOIGT Da hintenrum, bei de Wuhlheide.

OBERWACHTMEISTER Wo wohnen Sie jetzt?

VOIGT Jarnirgends.

OBERWACHTMEISTER Wieso? Sie müssen doch einen Wohnort angeben können.

VOIGT Nee, kann ick nich

OBERWACHTMEISTER Na, wo sindse denn gemeldet?

VOIGT Ooch jarnirgends. Ick stehe nämlich unter Polizeiaufsicht. Deshalb bin ick ja hier, weil ick mir hier anmelden mechte, und dafor brauch ick zunechst mal de Aufenthaltserlaubnis.
OBERWACHTMEISTER Wo warense denn zuletzt gemeldet?

VOIGT Wieder jarnirgends. Ick komme gradewegs aus de Strafanstalt Plötzensee.

OBERWACHTMEISTER (hat sich in den Akten zurechtgefunden) Aha! Vorbestraft. Sogar im Wiederholungsfall. Sie sind ja 'n ganz schwerer Junge.

VOIGT Ick weeß nich, Herr Kommissär, ick werde in letzter Zeit immer leichter. Besonders seit ick aus de Plötze raus bin, da ha'ck fast nur noch Luft in de Knochen.

OBERWACHTMEISTER Quasselnse nich. Sie haben wohl auch Luft im Kopp, was? Was wollense denn hier in Potsdam?

VOIGT Arbeeten will ick.

OBERWACHTMEISTER Das kann jeder sagen. Warum habense denn früher nicht gearbeitet? Fuffzehn Jahre Zuchthaus, wegen Posturkundenfälschung!

VOIGT Det is lange her, Herr Kommissär.

OBERWACHTMEISTER Desto schlimmer, desto schlimmer! Mit achtzehn Jahren!! Wie habense das denn angestellt?

VOIGT Na da war'ck n junger Dachs, Herr Kommissär. Und es hat sich ja alles in allem nur um dreihundert Märker jehandelt.

OBERWACHTMEISTER Das ist gar keine Entschuldigung.

VOIGT Ick will mir auch garnich entschuldigen, Herr Kommissär, det war nu mal so. Ick bin da mit'n jungen Meedchen gegangen, aus de Hotelkichenbrangsche. Da war'ck janz wech von. Ick konnte ihr nie wat spendieren, vastehnse, un de Spendierer, die hamse mir einfach abjespannt.

OBERWACHTMEISTER Und da sind Sie einfach hingegangen und haben einfach die Reichspost betrügerisch ausgeplündert.

VOIGT Ick dachte, det spürense da jarnich, bei son großen Betrieb. Aber denn habense mir jeschnappt und haben mir gleich fuffzehn Jahre injespunnen. Det is doch'n bisken ville forn junges Blut.

OBERWACHTMEISTER Darüber steht Ihnen kein Urteil zu. Das Strafmaß entspricht immer ganz genau der Schwere des Delikts.

VOIGT Meintswegen. Et is ja nu lange vorbei.

OBERWACHTMEISTER So was ist nie vorbei, merkense sich das. Was in Ihren Personalakten steht, das ist Ihnen so festgewachsen wie die Nase im Gesicht. Wer einmal auf die schiefe Bahn gerät –

VOIGT Stimmt.

OBERWACHTMEISTER Wieso »stimmt«. Was stimmt?

VOIGT Das mit de schiefe Bahn. Da hamse janz recht. Det is, wie wennse ne Laus uff ne Glasscheibe setzen. Da kannse nu krabbeln und krabbeln un rutscht ejal immer wieder runter.

OBERWACHTMEISTER Das sind so Redensarten, die kennt man. (Liest in den Akten) Nach Verbüßung Ihrer Strafe sind Sie ins Ausland gegangen.

VOIGT Jawoll, nach Böhmen und denn nach Bukarest.

OBER WACHTMEISTER Was habense denn dort getrieben?

VOIGT Da ha'ck jearbeetet.

OBERWACHTMEISTER So. Bei wem denn

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Des Teufels General

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HARTMANN Mag sein, daβ es immer so war, und ich habe es nur nicht gesehen.Nicht sehen wollen. Mag sein, daβ es erst durch den Krieg so gekommen ist. Er spricht rasch, hastig, wie jemand, der etwas loswerden muβ, was er sich selbst nicht eingestehen möchte Es ist alles wahr, was man hört. Es gibt keine Greuelgerüchte. Ich habe es mit eigenen Augen erschaut. Und es sind dieselben – dieselben Jungens – dieselben, die mit mir in der Hitlerjugend gelebt haben, geschwärmt und gesungen, von Idealen geredet, von Opfer und Einsatz, von der Pflicht, von der Sauberkeit. Ich hatte einen Schulfreund – er hätte keiner Fliege was zuleid getan – oder hat er sich nur verstellt? Er war eher schüchtern – empfindlich. In Lodz hab ich ihn widergetroffen, wir warteten dort auf Transport. – Ich wuβte nicht, daβ er beim Vertilgungskommando war. Er nahm mich mit, er sagte, es wird eine Hetz geben, er stammt aus Bayern, dort sagt man so. Sie haben auf Wehrlose geschossen – nur zum Spaβ. Sie haben gelacht, wenn die vor Angst gewimmert haben. Sie – ich kann es nicht aussprechen, Herr General. Das hat doch nicht mehr mit Krieg zu tun. Nichts mit dem Ziel – nichts mit der Idee. Dafür gibt es doch keine Rechtfertigung. Das ist doch einfachschändlich! Und ich frage mich – Herr General – wird jeder so, wenn man ihn läβt? Könnte man selbst so werden? Gibt es dagegen denn keinen Schutz?

[...]

HARTMANN In der Ordensburg haben sie uns gesagt, wie seien die Kreuzritter einer neuen Zeit. [...] Aber wie soll etwas Neues werden, etwas Starkes und Gutes, wenn es damit anfängt, daβ man das Niedrigste und Gemeinste in den Menschen entfesselt? Wie soll man die neue Zeit ertragen – wenn sie mit nichts als Mord beginnt?.
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DR. SCHMIDT-LAUSITZ Geteilte Verantwortung. Hochinteressant. Wie gesagt, ich verstehe nichts davon. Mein Ressort ist die Kultur. Totale Mobilmachung der deutschen Seele. Sie wissen. Und Aufklärung des neutralen Auslands. Auch das ist Kampf. – Wenn auch nicht mit der Waffe.

HARRAS Ich weiß. Mehr mit’m Mundwerk. Da muss manchmal eine Art von Mut dazugehören – den ich nicht aufbringen würde.

DR. SCHMIDT-LAUSITZ Sie schmeicheln, Herr General. (Wendet sich ab.)

LÜTTJOHANN (der dazugetreten war, leise) Scheißkerl.

HARRAS (zwischen den Zähnen) Pass auf, Kleener. Besauf dich nicht.

LÜTTJOHANN Keine Sorge. Ich tu nur so. Bin scharf auf’m Kasten.

HARRAS nickt ihm zu, trinkt hastig.

FRIEDRICH EILERS und ANNE sind zu ihm getreten.

ANNE Das werd ich Ihnen nie vergessen, General Harras – dass Sie ihm einen solchen Abend geben – und was Sie über ihn gesagt haben – ich meine – nicht nur die Ehre. Aber soviel Wärme und Freundschaft. Ich weiß, was es für ihn heißt. Ich glaube, so froh war er seit seiner Kindheit nicht.

EILERS Dank schön, Anne. Du hast das ganz richtig gesagt. Ich würde das gar nicht so über die Lippen bringen.

HARRAS Ja, du bist ’n alter steifer Holzbock, Fritze. Aber ich kenn dich genau. Du warst mir immer der Liebste von allen, obwohl du nicht säufst. Na, mach mal ne Ausnahme. (Er schenkt ihm ein.)

EILERS (lachend) Kann ja nichts schaden – auf Urlaub.

ANNE Wenn Sie gehört hätten, wie er mir immer von Ihnen erzählt hat. Eifersüchtig hätte man werden können. Harras ist der Erste – nach dem Führer natürlich – und dann kommt lange nichts.

HARRAS Und jetzt haben Sie den ollen Harry in Fleisch und Blut kennengelernt. Kleene Enttäuschung, was? Gar keine Würde, für’n General. Und noch nicht mal Parteigenosse.

EILERS Na ja, in der Beziehung – denken wir vielleicht ein bisschen verschieden. Aber wo’s drauf ankommt, da gibt’s keinen Unterschied. Soldat ist Soldat.

ANNE Es ist wohl auch eine Generationsfrage. Wir sind schon halbwegs damit aufgewachsen. Uns ist das heilig. Es hat uns ja das bisschen Lebensinhalt

gegeben.
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