Jünger, Ernst
Auf den Marmor Klippen
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Im Frühling aber zechten wir als Narren, wie es dortzulande üblich ist. Wir hüllten uns in bunte Narrenkittel, deren eingefetzter Stoff wie Vogel- federn leuchtete, und setzten die starren Schnabel- Masken auf. Dann sprangen wir im Narrenschritte und die Arme wie Flügel schwingend hinab ins Städtchen, auf dessen altem Markte der hohe Narrenbaum errichtet war. Dort fand im Fackelschein der Masken-Aufzug statt; die Männer gingen als Vögel, und die Frauen waren in die Prachtgewänder vergangener Jahrhunderte vermummt. Sie riefen uns mit hoher, verstellter Spieluhr-Stimme Scherz- worte zu, und wir erwiderten mit schrillem Vogelschrei.
Schon lockten uns aus den Schenken und Küfer- Kellern die Märsche der Feder-Innungen — so die dünnen, stechenden Flöten der Distelfinken, die schwirrenden Zithern der Mauer-Käuze, die röhrenden Baßgeigen der Auerhähne und die quiekenen Handorgeln, mit denen die Wiedehopf-Zunft ihre schändlichen Verse instrumentiert. Bruder Otho und ich gesellten uns den Schwarzspechten zu, bei denen man den Marsch mit Kochlöffeln auf hölzerne Zuber schlägt, und hielten närrischen Rat und Gericht. Hier galt es behutsam zu trinken, denn wir mußten den Wein mit Halmen durch die Nüstern der Schnäbel aus dem Glase ziehen. Wenn uns der Kopf zu rauchen drohte, erfrischte uns ein Streifzug durch die Gärten und Gräben am Ringwalle, auch schwärmten wir auf die Tanzböden aus, oder wir schlugen in der Laube eines Wirtes die Maske auf und speisten in Gesellschaft eines flüchtigen Liebchens aus Buckel-Pfannen ein Gericht von Schnecken auf Burgunder Art.
Überall und bis zum Morgengrauen ertönte in diesen Nächten der schrille Vogelruf— in den dunklen Gassen und an der großen Marina, in den Kastanien-Hainen und Weingärten, von den mit Lampionen geschmückten Gondeln auf der dunklen Fläche des Sees und selbst zwischen den hohen Zypressen der Friedhöfe. Und immer, wie sein Echo, hörte man auch den erschreckten, flüchtenden Schrei, der ihn erwiderte. Die Frauen dieses Landes sind schön und voll der spendenden Kraft, die der alte Pulverkopf die schenkende Tugend nennt.
Wißt Ihr, nicht die Schmerzen dieses Lebens, doch sein Übermut und seine wilde Fülle bringen, wenn wir uns an sie erinnern, uns den Tränen nah. So liegt dieses Stimmen-Spiel mir tief im Ohre, und vor allem jener unterdrückte Schrei, mit dem Lauretta mir am Wall begegnete. Obwohl ein weißer, goldbordierter Reif rock ihre Glieder und die PerlmuttLarve ihr Gesicht verbarg, hatte ich sie an der Art, in der sie schreitend ihre Hüfte bog, im Dunkel der Allee sogleich erkannt, und ich barg mich listig hinter einem Baum. Dann erschreckte ich sie durch das Spechts-Gelächter und verfolgte sie, indem ich mit den weiten, schwarzen Ärmeln flatterte. Oben, wo der Römerstein im Weinlad steht, fing ich die Erschöpfte ein, und zitternd preßte ich sie in den Arm, die feuerrote Maske über ihr Gesicht gebeugt. Als ich sie wie träumend und durch Zaubermacht gebannt so in meinem Griffe ruhend fühlte, faßte mich das Mitleid an, und lächelnd streifte ich die VogelLarve auf die Stirn empor.
Da begann auch sie zu lächeln, und leise legte sie die Hand auf meinen Mund — leise, daß ich nur den Atem, der durch ihre Finger wehte, in der Stille noch vernahm.
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In Stahlgewittern
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Da pfiff es wieder hoch in der Luft. Jeder hatte das zusammenschnürende Gefühl: die kommt hierher! Dann schmetterte ein betäubender, ungeheurer Krach - die Granate war mitten zwischen uns eingeschlagen.
Halb betäubt richtete ich mich auf. Aus dem großen Trichter strahlten in Brand geschossene Maschinengewehrgurte ein grelles rosa Licht. Es beleuchtete den schwelenden Qualm des Einschlages, in dem sich ein Haufen schwarzer Körper wälzte, und die Schatten der nach allen Seiten auseinanderstiebenden Überlebenden. Gleichzeitig ertönte ein vielfaches, grauenhaftes Weh-und Hilfegeschrei. Die wälzende Bewegung der dunklen Masse in der Tiefe des rauchenden und glühenden Kessels riß wie ein höllisches Traumbild für eine Sekunde den äußersten Abgrund des Schreckens auf.
Nach einem Augenblick der Lähmung, des starren Entsetzens, sprang ich auf und rannte wie alle anderen blindlings in die Nacht. Erst in einem Granatloch, in das ich kopfüber gestürzt war, erfaßte ich, was vorgegangen war. - Nichts mehr hören und sehen, nur fort von hier, weg in die tiefe Dunkelheit! - Aber die Leute! Ich mußte mich um sie kümmern, mir waren sie anvertraut. Ich zwang mich an den schrecklichen Ort zurück. Unterwegs traf ich den Füsilier Holler, der bei Regnieville das Maschinengewehr erbeutet hatte, und nahm ihn mit.
Die Verwundeten stießen noch immer ihre furchtbaren Schreie aus. Einige kamen auf mich zugekrochen und jammerten, als sie meine Stimme erkannten: "Herr Leutnant, Herr Leutnant!" Einer meiner liebsten Rekruten, Jasinski, dem ein Splitter den Schenkel zerknickt hatte, klammerte sich an meine Beine. Meiner Ohnmacht fluchend klopfte ich ihm ratlos auf die Schulter. Solche Augenblicke graben sich ein.
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Der Waldgang
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Die Furcht gehört zu den Symptomen unserer Zeit. Sie wirkt umso bestürzender, als sie sich an eine Epoche großer individueller Freiheit anschließt, in der auch die Not, wie etwa Dickens sie schildert, fast unbekannt geworden war.Wie kam es zu solchem Übergang? Wollte man einen Stichtag wählen, so wäre wohl keiner geeigneter als jener, an dem die »Titanic« unterging. Hier stoßen Licht und Schatten grell zusammen: die Hybris des Fortschritts mit der Panik, der höchste Komfort mit der Zerstörung, der Automatismus mit der Katastrophe, die als Verkehrsunfall erscheint.
Tatsächlich hängen wachsender Automatismus und Furcht ganz eng zusammen, und zwar insofern, als der Mensch zugunsten technischer Erleichterungen sich in der Entscheidung beschränkt.
Das führt zu mannigfaltiger Bequemlichkeit.
Notwendig muß aber auch der Verlust an Freiheit zunehmen. Der Einzelne steht nicht mehr in der Gesellschaft wie ein Baum im Walde, sondern er gleicht dem Passagier in einem sich schnell bewegenden Fahrzeug, das »Titanic« oder das auch Leviathan heißen kann. Solange das Wetter gut ist die Aussicht angenehm, wird er den Zustand minderer Freiheit kaum gewahren, in den er geraten ist. Es tritt im Gegenteil ein Optimismus auf, ein Machtbewußtsein, das die Geschwindigkeit erzeugt. Das wird dann anders, wenn feuerspeiende Inseln und Eisberge auftauchen. Dann wechselt nicht nur die Technik vom Komfort auf andere Gebiete über, sondern es wird zugleich der Mangel an Freiheit sichtbar - sei es im Sieg elementarer Kräfte, sei es dadurch, daß Einzelne, die stark geblieben sind, absolute Kommandogewalt ausüben.
Die Einzelheiten sind bekannt und vielfach beschrieben; sie gehören unserer eigensten Erfahrung an. Hier ließe sich der Einwand denken, daß es auch Zeiten der Furcht, der apokalyptischen Panik gegeben hat, ohne daß dieser automatische Charakter sie instrumentierte und begleitete. Wir wollen das dahingestellt sein lassen, denn das Automatische wird fürchterlich erst, wenn es sich als eine der Formen, als der Stil, des Verhängnisses offenbart, wie Hieronymus Bosch das schon so unübertrefflich geschildert hat. Möge es sich nun bei der modernen um eine ganz besondere Furcht handeln oder nur um den Zeitstil der Weltangst, die wiederkehrt - wir wollen uns bei dieser Frage nicht aufhalten, sondern wir wollen die Gegenfrage stellen, die uns am Herzen liegt: Ist es vielleicht möglich, die Furcht zu vermindern, während der Automatismus fortbesteht oder sich, wie vorauszusehen, weiterhin der Perfektion annähert? Wäre es also möglich, zugleich auf dem Schiff zu verbleiben und sich die eigene Entscheidung vorzubehalten - das heißt, die Wurzeln nicht nur zu wahren, sondern auch zu stärken, die noch dem Urgrund verhaftet sind?
Das ist die eigentliche Frage unserer Existenz. Es ist auch die Frage, die heute hinter jeder Zeitangst sich verbirgt. Der Mensch fragt, wie er der Vernichtung entrinnen kann. Wenn man in diesen Jahren an jedem beliebigen Punkt Europas mit Bekannten oder Unbekannten im Gespräch zusammensitzt, so wird die Unterhaltung sich bald dem Allgemeinen zuwenden, und das ganze Elend wird auftauchen. Man wird erkennen, daß fast alle diese Männer und Frauen von einer Panik erfaßt sind, wie sie seit dem frühen Mittelalter bei uns unbekannt geworden war. Man wird beobachten,daß sie sich mit einer Art Besessenheit in ihre Furcht hineinstürzen, deren Symptome offen und schamlos hervortreiben. Man wohnt da einem Wettbewerb von Geistern bei, die darüber streiten, ob es besser sei, zu fliehen, sich zu verbergen oder Selbstmord zu verüben, und die bei voller Freiheit schon darauf sinnen, durch welche Mittel und Listen sie sich die Gunst des Niederen erwerben können, wenn es zur Herrschaft kommt. Und mit Entsetzen ahnt man, daß es keine Gemeinheit gibt, der sie nicht zustimmen werden, wenn es gefordert wird. Darunter sieht man kräftige, gesunde Männer, die wie die Wettkämpfer gewachsen sind. Man fragt sich, wozu sie Sport treiben.
Nun sind aber dieselben Menschen nicht nur ängstlich, sondern fürchterlich zugleich. Die Stimmung wechselt von der Angst zu offenem Hasse, wenn sie jenen schwach werden sehen, den sie eben noch fürchteten. Und nicht nur in Europa trifft man solche Gremien. Die Panik wird sich noch verdichten, wo der Automatismus zunimmt und sich perfekten Formen nähert, wie in Amerika. Dort findet sie ihre beste Nahrung; sie wird durch Netze verbreitet, die mit dem Blitz wetteifern. Schon das Bedürfnis, mehrere Mal am Tage Nachrichten aufzunehmen, ist ein Zeichen der Angst; die Einbildung wächst und lähmt sich in steigenden Umdrehungen. All diese Antennen der Riesenstädte gleichen dem gesträubten Haar. Sie fordern zu dämonischen Berührungen heraus. ......
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