FITZEK, Sebastian
Die Therapie
…..
»Dr. Larenz?«
Marias Worte katapultierten Larenz in die Realität zurück, und er registrierte, dass er die Sprechstundenhilfe die ganze Zeit mit offenem Mund angestarrt haben musste.
»Was haben Sie mit ihr angestellt?« Er hatte seine Stimme wiedergefunden, und nun wurde sie mit jedem Wort lauter.
»Wie meinen Sie das?«
»Josy. Was haben Sie mit ihr gemacht?«
Larenz brüllte jetzt, und die Gespräche der wartenden Patienten verstummten schlagartig. Man sah es Maria an, dass sie nicht die leiseste Ahnung hatte, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte. Natürlich war sie als Sprechstundenhilfe bei Dr. Grohlke außergewöhnliches Verhalten von Patienten gewohnt. Schließlich war das hier keine Privatpraxis, und die Uhlandstraße zählte schon lange nicht mehr zu den vornehmsten Adressen Berlins. Immer wieder schwemmte die nahe gelegene Lietzenburger Straße Prostituierte und Junkies in die Warteräume. Und niemand wunderte sich, wenn beispielsweise ein abgemagerter Stricher auf Entzug die Sprechstundenhilfe anschrie, weil er sich nicht wegen seiner Ekzeme behandeln lassen wollte, sondern eine Arznei brauchte, die seine Schmerzen lindern konnte.
Nur lag heute der Fall etwas anders. Denn Dr. Viktor Larenz trug keinen dreckigen Trainingsanzug und kein durchlöchertes T-Shirt. Er hatte keine ausgelatschten Turnschuhe an, und sein Gesicht war keine Sammelstelle für aufgeplatzte, eiternde Pickel. Im Gegenteil. Er sah aus, als sei der Begriff »distinguiert« extra für ihn erfunden worden: schlanke Figur, gerade Körperhaltung, breite Schultern, eine hohe Stirn und ein markantes Kinn. Obwohl er in Berlin geboren und aufgewachsen war, hielten ihn die meisten für einen Hanseaten. Nur die grau melierten Schläfen und die klassische Nase fehlten ihm. Selbst seine teakholzbraunen lockigen Haare, die er in letzter Zeit etwas länger trug, und seine schiefe Nase – schmerzhafte Erinnerung an einen Segelunfall – taten dem weltmännischen Gesamteindruck keinen Abbruch.
Viktor Larenz war dreiundvierzig. Ein Mann, dessen Alter man nur schwer schätzen konnte, bei dem man sich aber sicher war, dass er leinene Taschentücher mit eingestickten Initialen besaß und niemals Kleingeld bei sich hatte.
…..