BURCKHARDT, Jacob
Der Cicerone
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Es läßt sich voraussehen, daß die Renaissance noch lange in der heutigen Architektur eine große Rolle spielen wird. Durch ihren scheinbaren Mangel an Ernst empfiehlt sie sich für jede Art von Prachtbekleidung; man glaubt mit ihr durchzukommen, ohne irgendeine Konsequenz mit in den Kauf nehmen zu müssen. Ich verkenne daneben nicht die erfolgreiche Bemühung geistvoller Architekten, die Formen der Renaissance zu reinigen, sie namentlich mit der griechischen Profilbildung in Zusammenhang zu bringen. Und wenn ein Vorbild für Bauten, wie sie unser Jahrhundert bedarf, rückwärts und auswärts gesucht werden soll, so hat dieser Stil, der allein ähnliche Aufgaben ganz schön löste, gewiß den Vorzug vor allen andern. Nur suche man ihm zuerst seinen Ernst und dann erst seine spielende Zierlichkeit abzugewinnen. Man ergründe vorzüglich auch sein Verhältnis zum Material; der gewöhnliche Baustein spricht sich eigentümlich kräftig aus; einen bestimmten Ausdruck des Reichtums wird man dem Marmor, einen bestimmten dem Erz, einen andern dem Holz, und wiederum einen verschiedenen dem Stukko zugemutet finden: und zwischen all diesem bleibt noch ein besonderes Gebiet für die Malerei unverkürzt übrig. Äußerst beherzigenswert bleibt es, daß kein Stoff sich für etwas ausgibt, was er nicht ist. Es gibt z. B. keine falsche, von Mörtel nachgeahmte Rustika vor den mittlern Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts; wer in den guten Zeiten der Renaissance nur mit Mörtel zu bauen vermag, gesteht es zu und begnügt sich mit der Derbheit der steinernen Fenstergewandungen und Gesimse. Aufgemalte Rustika kommt freilich schon frühe vor, allein dann in rein dekorativem Sinne, nicht mit der Absicht zu täuschen. (Ein sehr frühes Beispiel, vielleicht noch aus dem 14. Jahrhundert, am Palast Conte Bardi in Florenz, via del fosso, N. 187.) Sie ist auch ganz anders behandelt als das, was etwa an modernen Häusern von dieser Art (mit Schlagschatten usw.) hingemalt wird.
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