DOMIN, Hilde
Gleichgewicht
Wir gehen
jeder für sich
den schmalen Weg
über den Köpfen der Toten
- fast ohne Angst -
im Takt unsres Herzens,
als seien wir beschützt,
solange die Liebe
nicht aussetzt.
So gehen wir
zwischen Schmetterlingen und Vögeln
in staunendem Gleichgewicht
zu einem Morgen von Baumwipfeln
- grün, gold und blau -
und zu dem Erwachen
der geliebten Augen.
Die schwersten Wege
Die schwersten Wege
werden alleine gegangen,
die Enttäuschung,
der Verlust,
das Opfer,
sind einsam.
Selbst der Tote
der jedem Ruf antwortet
und sich keiner Bitte versagt
steht uns nicht bei
und sieht zu
ob wir es vermögen.
Die Hände der Lebenden, die sich ausstrecken
ohne uns zu erreichen
sind wie die Äste der Bäume im Winter.
Alle Vögel schweigen.
Man hört nur den eigenen Schritt
und den Schritt,
den der Fuß noch nicht gegangen ist
aber gehen wird.
Stehenbleiben und sich Umdrehen
hilft nicht.
Es muß gegangen sein.
…..
Unaufhaltsam
Das eigene Wort,
wer holt es zurück,
das lebendige, eben noch ungesprochene Wort?
wo das Wort vorbeifliegt,
verdorren die Graser,
werden die Blatter gelb,
fallt Schnee.
Ein Vogel käme dir wieder.
Nicht dein Wort,
das eben noch ungesagte,
in deinen Mund.
Du schickst andere Worte hintendrein,
Worte mit bunten, weichen Federn.
Das Wort ist schneller,
das schwarze Wort.
Es kommt immer an,
es hort nicht auf
anzukommen.
Besser ein Messer als ein Wort.
Ein Messer kann stumpf sein.
Ein Messer trifft oft
am Herzen vorbei.
Nicht das Wort.
Am Ende ist das Wort,
immer
am Ende
das Wort
Nur eine Rose als Stütze.
Ich richte mir ein Zimmer ein in der Luft
unter den Akrobaten und Vögeln:
mein Bett auf dem Trapez des Gefühls
wie ein Nest im Wind
auf der äußersten Spitze des Zweigs.
Ich kaufe mir eine Decke aus der zartesten Wolle
der sanftgescheitelten Schafe die
im Mondlicht
wie schimmernde Wolken
über die feste Erde ziehen.
Ich schließe die Augen und hülle mich ein
in das Vlies der verläßlichen Tiere.
Ich will den Sand unter den kleinen Hufen spüren
und das Klicken des Riegels hören,
der die Stalltür am Abend schließt.
Aber ich liege in Vogelfedern, hoch ins Leere gewiegt.
Mir schwindelt. Ich schlafe nicht ein.
Meine Hand
greift nach einem Halt und findet
nur eine Rose als Stütze.
Zärtliche Nacht
Es kommt die Nacht
da liebst du
nicht was schön -
was hässlich ist.
Nicht was steigt -
was schon fallen muss.
Nicht wo du helfen kannst -
wo du hilflos bist.
Es ist eine zärtliche Nacht,
die Nacht da du liebst,
was Liebe
nicht retten kann.