HAHN, Ulla


Blinde Flecken


Daß wir so uneins sind hält uns zusammen

du dort ich hier – wir sind auf andrer Fahrt:

Dein Istgewesen mein Eswirdnochkommen

zwei blinde Flecken in der Gegenwart

die uns gehört wie Träume vorm Erwachen

wenn wir schon wissen daß wir Träumer sind

die mit uns spielt ein Weilchen in den Winden

bis jedes hier und dort sich wiederfindet.


Winterlied


Als ich heute von dir ging

fiel der erste Schnee

und es machte sich mein Kopf

einen Reim auf Weh.


Denn es war die Kälte nicht

die die Tränen mir

in die Augen trieb es war

vielmehr Ungereimtes.


Ach da warst du schon zu weit

als ich nach dir rief

und dich fragte wer die Nacht

in deinen Reimen schlief.



Meine Wörter


Meine Wörter hab ich
mir ausgezogen
bis sie dalagen
atmend und nackt
mir unter der Zunge.

Ich dreh sie um
spuck sie aus
saug sie ein
blas sie auf

spann sie an
von Kopf bis Fu
spann sie auf

Mach sie groß
wie ein Raumschiff zum Mond
und klein wie ein Kind.
Überall suche ich die Zeile
die mir sagt
wo ich mich find



Spielregeln


Komm wir proben die Posse noch einmal

wir kennen die Rollen zum Glück

gibt es nicht mehr zu sagen

wir spielen das alte Stück


Immer wieder dieselben Schritte

bis hierher und weiter nicht

immer wieder dieselben Blicke

aus einem andern Gesicht


Immer wieder dasselbe Stöhnen

aus einem anderen Mund

jedesmal dasselbe Versinken

in immer anderem Grund


Immer wieder dieselben Blumen

am Anfang diesmal für mich

und im Schlussakt frische Tränen

wie immer: diesmal um dich.