FRISCH, Max
Homo Faber
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Wir warteten noch weitere vierzig Minuten draußen auf der Piste, Schnee vor den Scheinwerfern, Pulverschnee, Wirbel über der Piste, und was mich nervös machte, so daß ich nicht sogleich schlief, war nicht die Zeitung, die unsere Stewardeß verteilte, First Pictures Of World’s Greatest Air Crash in Nevada, eine Neuigkeit, die ich schon am Mittag gelesen hatte, sondern einzig und allein diese Vibration in der stehende Maschine mit laufende Motoren – dazu der junge Deutsche neben mir, der mir sogleich auffiel, ich weiß nicht wieso, er fiel auf, wenn er den Mantel auszog, wenn er sich setzte und sich die Bügelfalten zog, wenn er überhaupt nichts tat, sondern auf den Start wartete wie wir alle und einfach in Sessel saß, ein Blonder mit rosiger Haut, der sich sofort vorstellte, noch bevor man die Gürtel geschnallt hatte.
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In der Ferne die blauen Gebirge.
Sierra Madre Oriental.
Unter uns die rote Wüste.
Als kurz darauf – wir erhielten gerade unsren Lunch, mein Düsseldorfer und ich, das Übliche: Juice, ein schneeweißes Sandwich mit grünem Salat – plötzlich ein zweiter Motor aussetzte, war die Panik natürlich da, unvermeidlich, trotz Lunch auf dem Knie. Jemand schrie.
Von diesem Augenblick an ging alles sehr rasch – Offenbar befürchtete man noch den Ausfall der anderen Motoren, so daß man sich zur Notlandung entschloß. Jedenfalls sanken wir, der Lautsprecher knackte und knarrte so dass Man von den Anweisungen, die gegeben werden, kaum ein Wort versteht.
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Vor allem aber: die Maschine erlebt nichts, sie hat keine Angst und keine Hoffnung, die nur stören, keine Wünsche in bezug auf das Ergebnis, sie arbeitet nach der reinen Logik der Wahrscheinlichkeit, darum behaupte ich: Der Roboter erkennt genauer als der Mensch, er weiß mehr von der Zukunft als wir, denn er errechnet sie, er spekuliert nicht und träumt nicht, sondern wird von seinen eigenen ergebnissen gesteuert (feed back) und kann sich nicht irren; der Roboter braucht keine Ahnungen - Sabeth fand mich komisch.
Ein wenig, glaubte ich, mochte sie mich doch; jedenfalls nickte sie, wenn sie mich auf Deck sah, sie lag in ihrem Decksessel und nahm sofort ihr Buch, aber winkte - »Hello, Mister Faber!«
Sie nannte mich Mister Faber, weil ich mich, gewohnt an die englische Aussprache meines Namens, so vorgestellt hatte; im übrigen sprachen wir deutsch.
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Andorra
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Du sollst dir kein Bildnis machen von Gott, deinem Herrn, und nicht von den Menschen, die seine Geschöpfe sind. Auch ich bin schuldig geworden damals. Ich wollte ihm mit Liebe begegnen, als ich gesprochen habe mit ihm. Auch ich habe mir ein Bildnis gemacht von ihm, auch ich habe ihn gefesselt, auch ich habe ihn an den Pfahl gebracht
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GESELLE: Dein erster Stuhl?
ANDRI: Wie findest du ihn?
Der Geselle nimmt den Stuhl von Andri und versucht ein Stuhlbein herauszureißen, Andri lacht.
Die sind nicht zum Ausreißen!
(…)
Der Geselle versucht es vergeblich.
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Der Soldat setzt sich die Mütze auf, Andri schlägt sie ihm nochmals vom Kopf, die andern lachen, der Soldat schlägt ihm plötzlich einen Haken, so daß Andri stürzt. (…) Andri erhebt sich. Unser David, unser David geht los! Andri schlägt auch dem Soldaten plötzlich den Haken, der Soldat stürzt.
ANDRI: Kannst du nicht, was du mit jedem kannst, fröhlich und nackt. Ich lasse dich nicht. Was ist anders mit andern ? So sag es doch. Was ist anders? Ich küß dich, Soldatenbraut! Einer mehr oder weniger, zier dich nicht.
Was ist anders mit mir? Sag’s! Langweilt es dein Haar, wenn ich es küsse?
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Stiller
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"Ich bin nicht Stiller! - Tag für Tag, seit meiner Einlieferung in dieses Gefängnis, das noch zu beschreiben sein wird, sage ich es, schwöre ich es und fordere Whisky, ansonst ich jede weitere Aussage verweigere. Denn ohne Whisky, ich hab's ja erfahren, bin ich nicht ich selbst, sondern neige dazu, allen möglichen guten Einflüssen zu erliegen und eine Rolle zu spielen, die ihnen so passen möchte, aber nichts mit mir zu tun hat, und da es jetzt in meiner unsinnigen Lage (sie halten mich für einen verschollenen Bürger ihres Städtchens!) einzig und allein darum geht, mich nicht beschwatzen zu lassen und auf der Hut zu sein gegenüber allen ihren freundlichen Versuchen, mich in eine fremde Haut zu stecken, unbestechlich zu sein bis zur Grobheit, ich sage: das jetzt einzig und allein darum geht, niemand anders zu sein als der Mensch, der ich in Wahrheit leider bin, so werde ich nicht aufhören, nach Whisky zu schreien, sooft sich jemand meiner Zelle nähert. Übrigens habe ich bereits vor Tagen melden lassen, es brauche nicht die allererste Marke zu sein, immerhin ein trinkbare, ansonst ich eben nüchtern bleibe, und dann können sie mich verhören, wie sie wollen, es wird nichts dabei herauskommen, zumindest nichts Wahres. Vergeblich! Heute bringen sie mir dieses Heft voll leerer Blätter: Ich soll mein Leben niederschreiben! wohl um zu beweisen, dass ich eines habe, ein anderes als das Leben ihres verschollenen Herrn Stiller. "Sie schreiben einfach die Wahrheit", sagt mein amtlicher Verteidiger, "nichts als die schlichte Wahrheit.
Tinte können Sie jederzeit nachfüllen lassen!"
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La Muralla China
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Der nächste Krieg, den wir als unvermeidlich erklären, wird der letzte sein.
Wer heutzutage auf dem Thron sitzt, hat die Menschheit in der Hand, ihre ganze Geschichte ... Wir stehen vor der Wahl, ob es eine Menschheit geben soll oder nicht. Wer aber hat diese Wahl zu treffen? die Menschheit selbst oder - Sie?
Eine einzige Laune von Ihm, der heutzutage auf einem Thron sitzt, ein Nervenzusammenbruch, eine Stichflamme seines Größenwahns, eine Ungeduld wegen schlechter Verdauung: Und alles ist hin! Alles! Eine Wolke von gelber oder brauner Asche, die sich zum Himmel türmt, anzuschauen wie ein Pilz, wie ein schmutziger Blumenkohl, und der Rest ist Schweigen - radioaktives Schweigen.“
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Sie werden ihre Zukunft nie erleben. Denn die Macht ist unsere. Und wir, die an der Macht sind, wir brauchen keine Zukunft. Denn uns ist es wohl. Ich werde die Zukunft verhindern, ich werde eine Mauer erbauen, das heißt, das Volk wird sie bauen.
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Denn die Barbaren sind immer die anderen. Das ist noch heute so. Und die Kultur, das sind immer wir. Und darum muss man die anderen Völker befreien; denn wir (und nicht die andern) sind die freie Welt.
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Was zählen am Tag eures Sieges
Die Bauern und Fürsten im Land?
Wir zählen die Toten des Krieges,
Ihr zählt euer Geld in der Hand.
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Und wer noch Geisteskräfte hat, sagst du, der soll sie verbergen. Was weißt du denn von Geisteskräften, du Rotznase? Denn ich, sagst du, ich töte jede Geisteskraft, ich bin die Lüge in Person, ich bin die Pest auf dem Thron, und wer mir die Hand reicht, der stinkt nach Aas, ich bin kein Himmelssohn und bin kein Mensch, ich bin die Geisteskrankheit meiner Zeit.
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