ZEH, Juli
Spieltrieb
…..
»Schwimm«, brüllte Ada ihr ins Ohr, »schwimm!«
Und auch Frau Smutek gehorchte wie ein guter Soldat. Sie schwamm folgsam, mit zackigen, automatischen Bewegungen, Kopf an Kopf mit Ada, als wären sie gemeinsam an dieselbe Nervenbahn angeschlossen. Ada redete weiter, um bei Verstand zu bleiben, sprach zu ihnen beiden wie zu einer Person, brav machst du das, gutes Mädchen, schwimm einfach, verdammt noch mal, schwimm.
Aus Angst, den Faden zu zerreißen, der sie miteinander verband, wagte sie nicht, mit den Füßen nach Grund zu tasten, sondern schwamm weiter, bis der Bauch über Steine schrammte und die Hände den Schopf des Uferbewuchses zu fassen bekamen. Sie kam an Land, Frau Smutek blieb liegen, bleich im Wasser wie ein totes Reptil, und Ada bemerkte, dass sie in dünnem Hemd, Stoffhose und ohne Schuhe in den Wald gelaufen sein musste. Nirgendwo am Rand war ein Kleidungsstück zu sehen, das nicht Ada gehörte.
Mit einer Hand in den schwarzen, triefenden Haaren, die andere unter eine Achselhöhle gekrallt, zog Ada Frau Smutek an Land. Die Verbindung war unterbrochen; Schwimmen hatte funktioniert, Aufstehen funktionierte nicht. Ada ging in die Knie und lud sich die eiskalte Fee, die plötzlich schwer wie fünf Menschen war, auf den Rücken. Abgeknickt hing ihr der fremde Kopf über die Schulter, das lange Haar reichte bis zu den Oberschenkeln und klebte sich an die Haut wie Wasserpflanzen bei Ebbe an die Uferfelsen. Ein paar Schritte konnte Ada sie schleppen, stapfte starrsinnig in der eigenen Spur voran, und von der Anstrengung wurde ihr warm. Als es nicht mehr ging, standen sie in der Mitte der Lichtung, die eine halb nackt, den Brustkorb der anderen umklammernd, schwankend und flüsternd, Stirn an Stirn wie ein irrsinniges Liebespaar. Ada verlagerte das Gewicht, um den rechten Arm freizubekommen, holte aus und fing an, Frau Smutek zu schlagen, immer ins Gesicht, einmal, viele Male, abwechselnd mit Handfläche und -rücken, und mit jedem Schlag ging es besser, bis Frau Smutek ein Wimmern von sich gab und versuchte, sich wegzudrehen.
»Lauf«, brüllte Ada, »lauf!«
…..
Unterleuten
…..
Wenn sie doch einmal schwächelte, wenn sie verzweifelt meinte, dass der Berg von Arbeit immer größer statt kleiner werde, musste sie nur die Augen schließen und an Bergamotte denken, wie er in vorschriftsmäßiger Haltung stand, den Hals aufgewölbt, die Ohren gespitzt, das rechte Hinterbein einen halben Schritt zurückgestellt. Das cremefarbene Fell glänzte wie Lack. Der Gedanke an Bergamotte heilte Muskelkater und Frustration. Linda hatte einen Auftrag, der darin bestand, ein Stück Welt abzuzäunen. Bergamotte brauchte nicht nur einen Platz zum Leben, sondern auch die Möglichkeit, seine Schönheit an möglichst viele Nachkommen weiterzugeben. Überhaupt ging es um das Herstellen von Schönheit, im Haus, im Garten, auf den Weiden. Pferde unter Obstbäumen, Pferde im hohen Gras, Pferde im Licht der untergehenden Sonne. Dieser Traum war Lindas Zukunft, und nur weil er einer Postkartensammlung glich, hieß das noch lange nicht, dass er sich nicht realisieren ließ. Manfred Gortz sagte, das Wichtigste im Leben sei Freiheit, und Freiheit bedeute zu entscheiden, wer man sein wolle. Linda war eine Pferdezüchterin in spe.
Im oberen Stock rauschte die Klospülung, als flösse ein Wasserfall durch die Innereien des Hauses. Frederik war aufgestanden; für seine Verhältnisse ziemlich früh. Das konnte bedeuten, dass die nächtliche Arbeit schlecht gelaufen war oder dass der Hahn der Nachbarn ihn geweckt hatte.
…..