SCHOBER, Franz von
Am Bach im Frühling
Du brachst sie nun, die kalte Rinde,
Und rieselst froh und frei dahin.
Die Lüfte wehen wieder linde,
Und Moos und Gras wird neu und grün.
Allein, mit traurigem Gemüte
Tret’ ich wie sonst zu deiner Flut.
Der Erde allgemeine Blüte
Kommt meinem Herzen nicht zu gut.
Hier treiben immer gleiche Winde,
Kein Hoffen kommt in meinen Sinn,
Als daß ich hier ein Blümchen finde:
Blau, wie sie der Erinn’rung blühn.
Vergissmeinnicht
Als der Frühling sich vom Herzen
Der erblühten Erde riss,
Zog er noch einmal mit Schmerzen
Durch die Welt, die er verliess.
Wiesenschmelz und Saatengrüne
Grüssen ihn mit hellem Blühn,
Und die Schattenbaldachine
Dunklen Walds umsäuseln ihn.
Da im weichen Samt des Mooses
Sieht er, halb vom Grün verdeckt,
Schlummersüss, ein kummerloses
Holdes Wesen hingestreckt.
Ob’s ein Kind noch, ob’s ein Mädchen,
Wagt er nicht sich zu gestehn.
Kurze blonde Seidenfädchen
Um das runde Köpfchen wehn.
Zart noch sind die schlanken Glieder,
Unentfaltet die Gestalt,
Und doch scheint der Busen wieder
Schon von Regungen durchwallt.
Rosig strahlt der Wangen Feuer,
Lächelnd ist der Mund und schlau,
Durch der Wimpern duft’gen Schleier
Äugelt schalkhaft helles Blau.
Und der Frühling, wonnetrunken
Steht er, und doch tief gerührt;
In das holde Bild versunken,
Fühlt er ganz, was er verliert!
Aber dringend mahnt die Stunde,
Dass er schnell von hinnen muss.
Ach! da brennt auf ihrem Munde
Glühend heiss der Scheidekuss.
Und in Duft ist er entschwunden.
Doch das Kind entfährt dem Schlaf,
Tief hat sie der Kuss entzünden,
Wie ein Blitzstrahl, der sie traf.
Alle Keime sind entfaltet,
Die ihr kleiner Busen barg,
Schnell zur Jungfrau umgestaltet,
Steigt sie aus der Kindheit Sarg.
Ihre blauen Augen schlagen
Ernst und liebelicht empor,
Nach dem Glück scheint sie zu fragen,
Was sie ungekannt verlor.
Aber niemand gibt ihr Kunde,
Alle sehn sie staunend an,
Und die Schwestern in der Runde,
Wissen nicht wie ihr getan.
Ach sie weiss es selbst nicht! –
Tränen Sprechen ihren Schmerz nur aus,
Und ein unergründlich Sehnen
Treibt sie aus sich selbst heraus;
Treibt sie fort, das Bild zu finden,
Das in ihrem Innern lebt,
Das ihr Ahnungen verkünden,
Das in Träumen sie umschwebt.
Felsen hat sie überklommen,
Berge steigt sie ab und auf;
Bis sie an den Fluss gekommen,
Der ihr hemmt den Strebelauf.
Doch im Ufergras dem feuchten,
Wird ihr heisser Fuss gekühlt,
Und in seinem Spiegel leuchten
Siehet sie ihr eignes Bild.
Sieht des Himmels blaue Ferne,
Sieht der Wolken Purpurschein,
Sieht den Mond und alle Sterne –
Milder fühlt sie ihre Pein.
Denn es ist ihr aufgegangen:
Dass sie eine Seele fand,
Die ihr innigstes Verlangen,
Ihren tiefsten Schmerz verstand.
Gern mag sie an dieser Stelle
Sich die stille Wohnung bau’n,
Der verklärten sanften Welle
Kann sie rückhaltslos vertrau’n.
Und sie fühlt sich ganz genesen,
Wenn sie zu dem Wasser spricht,
Wie zu dem geahnten Wesen:
O vergiss, vergiss mein nicht!