DROSTE-HÜLSHOFF, Annette von


Not

Was redet ihr so viel von Angst und Not

In eurem tadellosen Treiben?

Ihr frommen Leute, schlagt die Sorge tot,

Sie will ja doch nicht bei euch bleiben!

Doch wo die Not, um die das Mitleid weint,

Nur wie der Tropfen an des Trinkers Hand,

Indes die dunkle Flut, die keiner meint,

Verborgen steht bis an der Seele Rand -

Ihr frommen Leute wollt die Sorge kennen,

Und habt doch nie die Schuld gesehn!

Doch sie, sie dürfen schon das Leben nennen

Und seine grauenvollen Höhn.

Hinauf schallt's wie Gesang und Loben,

Und um die Blumen spielt der Strahl,

Die Menschen wohnen still im Tal,

Die dunklen Geier horsten droben.


Der Frühling ist die schönste Zeit

Der Frühling ist die schönste Zeit!

Was kann wohl schöner sein?

Da grünt und blüht es weit und breit

Im goldnen Sonnenschein.

Am Berghang schmilzt der letzte Schnee,

Das Bächlein rauscht zu Tal,

Es grünt die Saat, es blinkt der See

Im Frühlingssonnenstrahl.

Die Lerchen singen überall,

Die Amsel schlägt im Wald!

Nun kommt die liebe Nachtigall

Und auch der Kuckuck bald.

Nun jauchzet alles weit und breit,

Da stimmen froh wir ein:

Der Frühling ist die schönste Zeit!

Was kann wohl schöner sein?


Am Turme

Ich steh’ auf hohem Balkone am Turm,
Umstrichen vom schreienden Stare,
Und lass’ gleich einer Mänade den Sturm
Mir wühlen im flatternden Haare;
O wilder Geselle, o toller Fant,
Ich möchte dich kräftig umschlingen,
Und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand
Auf Tod und Leben dann ringen!

Und drunten seh’ ich am Strand, so frisch
Wie spielende Doggen, die Wellen
Sich tummeln rings mit Geklaff und Gezisch,
Und glänzende Flocken schnellen.
O, springen möcht’ ich hinein alsbald,
Recht in die tobende Meute,
Und jagen durch den korallenen Wald
Das Walross, die lustige Beute!

Und drüben seh’ ich ein Wimpel wehn
So keck wie eine Standarte,
Seh’ auf und nieder den Kiel sich drehn
Von meiner luftigen Warte;
O, sitzen möcht’ ich im kämpfenden Schiff,
Das Steuerruder ergreifen,
Und zischend über das brandende Riff
Wie eine Seemöwe streifen.

Wär’ ich ein Jäger auf freier Flur,
Ein Stück nur von einem Soldaten,
Wär’ ich ein Mann doch mindestens nur,
So würde der Himmel mir raten;
Nun muss ich sitzen so fein und klar,
Gleich einem artigen Kinde,
Und darf nur heimlich lösen mein Haar,
Und lassen es flattern im Winde!


Sommer

Du gute Linde, schüttle dich!

Ein wenig Luft, ein schwacher West!

Wo nicht, dann schließe dein Gezweig

So recht, dass Blatt an Blatt sich presst.

Kein Vogel zirpt, es bellt kein Hund;

Allein die bunte Fliegenbrut

Summt auf und nieder übern Rain

Und lässt sich rösten in der Glut.

Sogar der Bäume dunkles Laub

Erscheint verdickt und atmet Staub.

Ich liege hier wie ausgedorrt

Und scheuche kaum die Mücken fort.

O Säntis, Säntis! läg' ich doch

Dort - grad' an deinem Felsenjoch,

Wo sich die kalten, weißen Decken

So frisch und saftig drüben strecken,

Viel tausend blanker Tropfen Spiel:

Glücksel'ger Säntis, dir ist kühl!



»Selig sind die Armen im Geiste«


Selig sind im Geist die Armen,

Die zu ihres Nächsten Füßen

Gern an seinem Licht erwarmen

Und mit Dienerwort ihn grüßen,

Fremden Fehles sich erbarmen,

Fremden Glückes überfließen:

Ja, zu ihres Nächsten Füßen

Selig, selig sind die Armen.

Selig sind der Sanftmut Kinder,

Denen Zürnen wird zum Lächeln

Und der Milde Saat nicht minder

Sprießt aus Dorn und scharfen Hecheln,

Deren letztes Wort ein linder

Liebeshauch durch Todesröcheln,

Wenn das Zucken wird zum Lächeln:

Selig sind der Sanftmut Kinder.


Selig sind, die Trauer tragen

Und ihr Brot mit Tränen tränken,

Über eigne Sünde klagen

Und der fremden nicht gedenken,

An den eignen Busen schlagen,

Fremder Schuld die Blicke senken:

Die ihr Brot mit Tränen tränken,

Selig sind, die Trauer tragen.


Selig, wen der Durst ergriffen

Nach dem Rechten, nach dem Guten

Mutig, ob auf morschen Schiffen,

Mutig steuernd nach den Fluten,

Sollte unter Strand und Riffen

Auch das Leben sich verbluten:

Nach dem Rechten, nach dem Guten,

Selig, wen der Durst ergriffen.


Die Barmherzigen sind selig,

So nur auf die Wunde sehen,

Nicht erpressend kalt und wählig

Wie der Schaden mocht' entstehen,

Leise schonend und allmählich

Lassen drin den Balsam gehen:

So nur nach der Wunde sehen,

Die Barmherzigen sind selig.


Überselig reine Herzen,

Unbefleckter Jungfraun Sinnen,

Denen Kindeslust das Scherzen,

Denen Himmelshauch das Minnen,

Die wie an Altares Kerzen

Zündeten ihr klar Beginnen:

Unbefleckter Jungfraun Sinnen,

Überselig reine Herzen.


Und des Friedens fromme Wächter

Selig, an den Schranken waltend

Und der Einigkeit Verfechter

Hoch die weiße Fahne haltend,

Mild und fest gen den Verächter,

Wie der Daun die Klinge spaltend:

Selig, an den Schranken waltend,

Selig sind des Friedens Wächter.


Die um dich Verfolgung leiden,

Höchster Feldherr, deine Scharen,

Selig, wenn sie Alles meiden,

Um dein Banner sich zu wahren!

Mag es nie von ihnen scheiden,

Nicht in Lust noch in Gefahren!

Selig, selig deine Scharen,

Selig, die Verfolgung leiden!


Und so muß ich selig nennen

Alle, denen fremd mein Treiben,

Muß, indess die Wunden brennen,

Fremden Glückes Herold bleiben.

Wird denn nichts von dir mich trennen,

Wildes, saftlos, morsches Treiben?

Muß ich selber mich zerreiben,

Wird mich Keiner selig nennen?



Die Unbesungenen


‘S giebt Gräber wo die Klage schweigt,

Und nur das Herz von innen blutet,

Kein Tropfen in die Wimper steigt,

Und doch die Lava drinnen fluthet;

‚S giebt Gräber, die wie Wetternacht

An unserm Horizonte stehn

Und alles Leben niederhalten,

Und doch, wenn Abendroth erwacht,

Mit ihren goldnen Flügeln wehn

Wie milde Seraphimgestalten.


Zu heilig sind sie für das Lied,

Und mächtge Redner doch vor Allen,

Sie nennen dir was nimmer schied,

Was nie und nimmer kann zerfallen;

O, wenn dich Zweifel drückt herab,

Und möchtest athmen Aetherluft,

Und möchtest schauen Seraphsflügel,

Dann tritt an deines Vaters Grab!

Dann tritt an deines Bruders Gruft!

Dann tritt an deines Kindes Hügel!