BÜRGER, Gottfried August



Die Muttersprache kann zu allem übrigen sagen: Ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer mich verachtet, der wird wieder verachtet von seinem Zeitalter und schnell vergessen von der Nachwelt.



An die Liebe


Einmal, meines Lebens Rest zu segnen,

Laß mir noch ein Mädchen oder Weib,

Göttin Liebe, laß mir eins begegnen,

So gestaltet, so an Seel' und Leib

Ausgeschmückt mit deinen goldnen Gaben,

Daß ich armer, freudenloser Mann

Mich an ihm von ganzem Herzen laben

Und es lieben und verehren kann!



Die Umarmung


Wie um ihren Stab die Rebe

Brünstig ihre Ranke strickt,

Wie der Efeu sein Gewebe

An der Ulme Busen drückt;


Wie ein Taubenpaar sich schnäbelt

Und auf ausgeforschtem Nest,

Von der Liebe Rausch umnebelt,

Haschen sich und würgen läßt:


Dürft' ich so dich rund umfangen!

Dürftest du, Geliebte mich! -

Dürften so zusammenhangen

Unsre Lippen ewiglich!


Dann verschmäht ich alle Mahle,

Wie ich sie auf Erden sah,

Dann sogar im Göttersaale

Nektar und Ambrosia.


Sterben wollt' ich im Genusse,

Wie ihn deine Lippe beut,

Sterben in dem langen Kusse

Wollustvoller Trunkenheit.


Der Bauer an seinen durchlauchtigen Tyrannen

Wer bist du, Fürst, daß ohne Scheu
Zerrollen mich dein Wagenrad,
Zerschlagen darf dein Roß?

Wer bist du, Fürst, daß in mein Fleisch
Dein Freund, dein Jagdhund, ungebleut
Darf Klau'und Rachen hau'n?

Wer bist du, daß, durch Saat und Forst,
Das Hurra deiner Jagd mich treibt,
Entatmet, wie das Wild? –

Die Saat, so deine Jagd zertritt,
Was Roß und Hund und Du verschlingst,
Das Brot, du Fürst, ist mein.

Du Fürst hast nicht, bei Egg' und Pflug,
Hast nicht den Erntetag durchschwitzt.
Mein, mein ist Fleiß und Brot! –

Ha! du wärst Obrigkeit von Gott?
Gott spendet Segen aus; du raubst!
Du nicht von Gott, Tyrann!


Lenore

Lenore fuhr ums Morgenrot

Empor aus schweren Träumen:

"Bist untreu, Wilhelm, oder tot?

Wie lange willst du säumen?" -

Er war mit König Friedrichs Macht

Gezogen in die Prager Schlacht,

Und hatte nicht geschrieben:

Ob er gesund geblieben.

Der König und die Kaiserin,

Des langen Haders müde,

erweichten ihren harten Sinn,

Und machten endlich Friede;

Und jedes Heer, mit Sing und Sang,

Mit Paukenschlag und Kling und Klang,

Geschmückt mit grünen Reisern,

Zog heim zu seinen Häusern.

Und überall all überall,

Auf Wegen und auf Stegen,

Zog Alt und Jung dem Jubelschall

Der Kommenden entgegen.

Gottlob! rief Kind und Gattin laut,

Willkommen! manche frohe Braut.

Ach! aber für Lenoren

War Gruß und Kuß verloren.

Sie frug den Zug wohl auf und ab,

Und frug nach allen Namen;

Doch keiner war, der Kundschaft gab,

Von allen, so da kamen.

Und als das Heer vorüber war,

Zerraufte sie ihr Rabenhaar,

Und warf sich hin zur Erde,

Mit wütiger Gebärde.

Die Mutter lief wohl hin zu ihr: -

"Ach, dass sich Gott erbarme!

Du trautes Kind, was ist mit dir?" -

Und schloß sie in die Arme. -

"Oh Mutter, oh Mutter! hin ist hin!

Nun fahre Welt und alles hin!

Bei Gott ist kein Erbarmen.

O weh, o weh mir Armen - !"

"Hilf Gott, hilf! Sieh uns gnädig an!

Kind, bet' ein Vaterunser!

Was Gott tut, das ist wohlgetan.

Gott, Gott, erbarm dich unser!" -

"O Mutter, Mutter! Eitler Wahn!

Gott hat an mir nicht wohlgetan!

Was half, was half mein Beten?

Nun ist's nicht mehr vonnöten." -

"Hilf Gott, hilf! Wer den Vater kennt,

Der weiß, er hilft den Kindern.

Das hochgelobte Sakrament

Wird deinen Jammer lindern." -

"O Mutter, Mutter! was mich brennt,

Das lindert mir kein Sakrament!

Kein Sakrament mag Leben

Den Toten wiedergeben." -

"Hör Kind! Wie, wenn der falsche Mann,

Im fernen Ungerlande,

Sich seines Glaubens abgetan,

Zum neuen Ehebande?

Laß fahren, Kind, sein Herz dahin!

Er hat es nimmermehr Gewinn!

Wann Seel' und Leib sich trennen,

Wird ihn sein Meineid brennen." -

"O Mutter, Mutter! Hin ist hin!

Verloren ist verloren!

Der Tod, der Tod ist mein Gewinn!

O wär' ich nie geboren!

Lisch aus mein Licht, auf ewig aus!

Sirb hin, stirb hin in Nacht und Graus!

Bei Gott ist kein Erbarmen.

O weh, o weh, mir Armen!" -

"Hilf Gott, hilf! Geh nicht ins Gericht

Mit deinem armen Kinde!

Sie weiß nicht, was die Zunge spricht.

Behalt ihr nicht die Sünde!

Ach, Kind, vergiß dein irdisch Leid,

Und denk an Gott und Seligkeit!

So wird doch deiner Seelen

Der Bräutigam nicht fehlen." -

"O Mutter! Was ist Seligkeit?

O Mutter! Was ist Hölle?

Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit!

Und ohne Wilhelm Hölle! -

Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus!

Stirb hin in Nacht und Graus!

Ohn' ihn mag ich auf Erden,

Mag dort nicht selig werden." - - -

So wütete Verzweifelung

Ihr in Gehirn und Adern.

Sie fuhr mit Gottes Fürsehung

Vermessen fort zu hadern;

Zerschlug den Busen, und zerrang

Die Hand, bis Sonnenuntergang,

Bis auf am Himmelsbogen

Die goldnen Sterne zogen.

Und außen, horch! Ging's trap trap trap,

Als wie von Rosseshufen;

Und klirrend stieg ein Reiter ab,

An des Geländers Stufen;

Und horch! Und horch! Den Pfortenring

Ganz lose, leise, klingeling!

Dann kamen durch die Pforte

Vernehmlich diese Worte:

"Holla, Holla! Tu auf mein Kind!

Schläfst Liebchen oder wachst du?

Wie bist noch gegen mich gesinnt?

Und weinest oder lachst du?" -

"Ach, Wilhelm, du? - - So spät bei Nacht? - -

Geweinet hab' ich und gewacht;

Ach, großes Leid erlitten!

Wo kommst du hergeritten?" -

"Wir satteln nur um Mitternacht.

Weit ritt ich her von Böhmen.

Ich habe spät mich aufgemacht,

Und will dich mit mir nehmen." -

"Ach, Wilhelm, erst herein geschwind!

Den Hagedorn umsaust der Wind,

Herein, in meinen Armen,

Herzallerliebster, zu erwarmen!" -

"Laß sausen durch den Hagedorn,

Laß sausen, Kind, laß sausen!

Der Rappe scharrt ; es klingt der Sporn.

Ich darf allhier nicht hausen.

Komm, schürze, spring' und schwinge dich

Auf meinen Rappen hinter mich!

Muß heut noch hundert Meilen

Mit dir ins Brautbett eilen." -

"Ach, wollest hundert Meilen noch

Mich heut ins Brautbett' tragen?

Und horch! Es brummt die Glocke noch,

Die elf schon angeschlagen." -

"Sieh hin, sieh her! Der Mond scheint hell.

Wir und die Toten reiten schnell.

Ich bringe dich, zur Wette,

Noch heut ins Hochzeitsbette." -

"Sag an, wo ist dein Kämmerlein?

Wo? Wie dein Hochzeitsbettchen?" -

"Weit, weit von hier! - - Still, kühl und klein! - -

Sechs Bretter und zwei Brettchen!" -

"Hat's Raum für mich?" - "Für dich und mich!

Komm, schürze, spring' und schwinge dich!

Die Hochzeitsgäste hoffen;

Die Kammer steht uns offen." -

Schön Liebchen schürzte, sprang und schwang

Sich auf das Roß behende;

Wohl um den trauten Reiter schlang

Sie ihre Liljenhände;

Und hurre hurre, hop hop hop!

Ging's fort in sausendem Galopp,

Daß Roß und Reiter schnoben,

Und Kies und Funken stoben.

Zur rechten und zur linken Hand,

Vorbei an ihren Blicken,

Wie flogen Anger, Haid' und Land!

Wie donnerten die Brücken! -

"Graut' Liebchen auch? - - - Der Mond scheint hell!

Hurra! Die Toten reiten schnell!

Graut Liebchen auch vor Toten?" -

"Ach nein! - - Doch laß die Toten!" -

Was klang dort für Gesang und Klang?

Was flatterten die Raben? - -

Horch Glockenklang! Horch Totensang:

"Laßt uns den Leib begraben!"

Und näher zog ein Leichenzug,

Der Sarg und Totenbahre trug.

Das Lied war zu vergleichen

Dem Unkenruf in Teichen.

"Nach Mitternacht begrabt den Leib,

Mit Sang und Klang und Klage!

Jetzt führ' ich heim mein junges Weib.

Mit, mit zum Brautgelage!

Komm, Küster, hier! Komm mit dem Chor,

und gurgle mir das Brautlied vor!

Komm, Pfaff', und sprich den Segen,

Eh wir zu Bett' uns legen!" -

Still Klang und Sang. - - Die Bahre schwand. - -

Gehorsam seinem Rufen,

Kam's hurre hurre! nachgerannt,

Hart hinters Rappen Hufen.

Und immer weiter, hop hop hop!

Ging's fort in sausendem Galopp,

Daß Roß und Reiter schnoben,

Und Kies und Funken stoben.

Wie flogen rechts, wie flogen links,

Gebirge, Bäum' und Hecken!

Wie flogen links, und rechts, und links

Die Dörfer, Städt' und Flecken! -

"Graut' Liebchen auch? - - Der Mond scheint hell!

Hurra! Die Toten reiten schnell!

Graut' Liebchen auch vor Toten?" -

"Ach, laß sie ruhn, die Toten!" -

Sieh' da! sieh da! Am Hochgericht

Tanzt' um des Rades Spindel

Halb sichtbarlich bei Mondenlicht,

Ein luftiges Gesindel. -

"Sasa! Gesindel, hier! Komm hier!

Gesindel, komm und folge mir!

Tanz' uns den Hochzeitsreigen,

Wann wir zu Bette steigen!" -

Und das Gesindel husch husch husch!

Kam hinten nachgeprasselt,

Wie Wirbelwind am Haselbusch

Durch dürre Blätter rasselt.

Und weiter, weiter, hop hop hop!

Ging's fort in sausendem Galopp,

Daß Roß und Reiter schnoben,

Und Kies und Funken stoben.

Wie flog, was rund der Mond beschien,

Wie flog es in die Ferne!

Wie flogen oben über hin

Der Himmel und die Sterne! -

"Graut Liebchen auch? - - - Der Mond scheint hell!

Hurra! Die Toten reiten schnell!

Graut Liebchen auch vor Toten?" -

"O weh! Laß ruhn die Toten!" - - -

"Rapp'! Rapp'! Mich dünkt der Hahn schon ruft. - -

Bald wird der Sand verrinnen - -

Rapp'! Rapp'! Ich wittre Morgenluft- -

Rapp'! Tummle dich von hinnen! -

Vollbracht, vollbracht ist unser Lauf!

Das Hochzeitsbette tut sich auf!

Die Toten reiten schnell!

Wir sind, wir sind zur Stelle." - - -

Rasch auf ein eisern Gittertor

Ging's mit verhängtem Zügel.

Mit schwanker Gert' ein Schlag davor

Zersprengte Schloß und Riegel.

Die Flügel flogen klirrend auf,

Und über Gräber ging der Lauf.

Es blinkten Leichensteine

Rund um im Morgenscheine.

Ha sieh! Ha sieh! Im Augenblick,

Huhu! Ein grässlich Wunder!

Des Reiters Koller, Stück für Stück,

Fiel ab wie mürber Zunder.

Zum Schädel, ohne Zopf und Schopf,

Zum nackten Schädel ward sein Kopf;

Sein Körper zum Gerippe,

Mit Stundenglas und Hippe.

Hoch bäumte sich, wild schnob der Rapp',

Und sprühte Feuerfunken;

Und hui! War's unter ihr hinab

Verschwunden und versunken.

Geheul! Geheul aus hoher Luft,

Gewinsel kam aus tiefer Gruft.

Lenorens Herz, mit Beben,

Rang zwischen Tod und Leben.

Nun tanzten wohl bei Morgenglanz,

Rund um herum im Kreise,

Die Geister einen Kettentanz,

Und heulten diese Weise:

"Geduld! Geduld! Wem's Herz auch bricht!

Mit Gott im Himmel hadre nicht!

Des Leibes bist du ledig;

Gott sei der Seele gnädig!"