NEUMANN, Walter
Das Gras in den Steppen
Komm, lass uns gehen
unter dem Himmel, der blau ist wie
in ältester Zeit.
Noch immer wiegt
die Äste der Wind
und das Gras in den Steppen.
Also umarmen wir
unsere schönere Welt,
unser Haus,
das ständig vom Stiefel
des Todes zertreten wird.
Also erneuern wir unermüdlich
die alten Bilder, den
Phönix aus Asche, das
fetter grünende Laub.
Im vergessensten Winkel Europas
Ein Land liegt,
handtellergross,
im vergessensten Winkel
Europas. Dort
bin ich geboren.
Blut
schwärtzt den Boden.
Die Wälder düngt Knochenfett.
Und das grölende Meer,
rauschend voll Muscheln,
saltzt der Gequälten Fleisch
seit Menschengedenken.
Die Mächtigen aber hoffen, still
sei ihrer Taten
Geschrei und verdampft
mit dem Blutrauch
ihr Name.
Mörder des Landes
aus allen Poren
dringt euer Geruch.
Ich zähle euch ab.
Ich zähle euch auf.
Mein Haar wird weiss darüber.
Pause
Wo unter alten Gestirnen
die Berge wandern,
in Tälern blau
die Nacht hockt,
setze ich mich
an enfache Tische, löse
die Schuhe, warte,
wer Krug und Teller mir hinstellt
um meinerwillen.
Totes Land
Mein immergleiches Gerede
besteht aus wenigen Sätzen,
meine immergleichen Gedanken
umkreisen mein totes Land,
wo die Steine verloren stehen,
wo über Särgen die Erde einbricht.
Wandernd an fremdgewordenen Ufern,
tönt mir die immergleiche Frage im Ohr:
Unsere Schatten, wo fallen unsere Schatten?
Nicht einmal unsere Schatten sind uns geblieben.