CHAMISSO, Adelbert von


Heimweh.


O laßt mich schlafen! o ruft mich

In die Gegenwart nicht zurück!

Mißgönnt ihr dem kranken Mädchen

Den Traum, den Schatten von Glück?


Was sprecht ihr mir zu? vergebens!

Mein Herz verstehet euch nicht.

Bin fremd in eurem Lande;

Hier schmerzt mich das Tageslicht.


Hier dehnt sich das flache Gefilde

So unabsehbar und leer,

Darüber legt sich der Himmel

So freud- und farblos und schwer.


Es sieht mein müdes Auge,

Umflort von bitterm Tau,

Nur blasse Nebelgestalten,

Verschwindende, grau in grau.


Es rauschen fremde Klänge

Vorüber an meinem Ohr,

Es zählet die innere Stimme

Nur Schmerzen und Schmerzen mir vor.


Der Schlaf nur bringt allnächtlich

Vor Tagesgedanken mir Ruh',

Es trägt mich der Traum mitleidig

Der lieben Heimat zu.


Und meine Berge erheben

Die schneeigen Häupter zumal

Und tauchen in dunkele Bläue

Und glühen im Morgenstrahl,


Und lauschen über den Hochwald,

Der schirmend die Gletscher umspannt,

In unser Thal herüber,

Und schauen mich an so bekannt.


Der Gießbach schäumet und brauset,

Und stürzt in die Schlucht sich hinab;

Von drüben erschallt das Alphorn, –

Das ist der Hirtenknab!


Aus unserm Hause tret' ich,

Dem zierlich gefügten, herfür;

Die Eltern haben's gebauet,

Die Namen stehn über der Thür;


Und unter den Namen stehet

Der Spruch, Gott segne das Haus

Und segne, die frommen Gemütes

Darin gehn ein und aus.


Ich bin hinaus gegangen – –

Weh' mir, daß ich es that!

Ich bin nun eine Waise,

Die keine Heimat hat.


O laßt mich schlafen, o ruft mich

In die Gegenwart nicht zurück!

Mißgönnt nicht dem kranken Mädchen

Den Traum, den Schatten von Glück!



Frisch gesungen


Hab' oft im Kreise der Lieben

In duftigem Grase geruht

Und mir ein Liedlein gesungen,

Und alles war hübsch und gut.


Hab' einsam auch mich gehärmet

In bangem, düsterem Mut,

Und habe wieder gesungen,

Und alles war wieder gut


Und manches, was ich erfahren,

Verkocht' ich in stiller Wut,

Und kam ich wieder zu singen,

War alles auch wieder gut.


Sollst nicht uns lange klagen,

Was alles dir wehe thut.

Nur frisch, nur frisch gesungen!

Und alles wird wieder gut.


Winter


In den jungen Tagen

Hatt' ich frischen Mut,

In der Sonne Strahlen

War ich stark und gut.


Liebe, Lebenswogen,

Sterne, Blumenlust!

Wie so stark die Sehnen!

Wie so voll die Brust!


Und es ist zerronnen,

Was ein Traum nur war;

Winter ist gekommen,

Bleichend mir das Haar.


Bin so alt geworden,

Alt und schwach und blind,

Ach! verweht das Leben,

Wie ein Nebelwind!


Was soll ich sagen?


Mein Aug' ist trüb,

Mein Mund ist stumm,

Du heißest mich reden,

Es sei darum!


Dein Aug' ist klar,

Dein Mund ist rot,

Und was du nur wünschest,

Das ist ein Gebot.


Mein Haar ist grau,

Mein Herz ist wund,

Du bist so jung

Und bist so gesund.


Du heißest mich reden,

Und machst mir's so schwer.

Ich seh' dich so an

Und zittre so sehr.


Feldeinsamkeit


Ich ruhe still im hohen, grünen Gras

und sende lange meinen Blick nach oben,

von Grillen rings umschwirrt ohn Unterlass,

von Himmelsbläue wundersam umwoben.

Und schöne weiße Wolken ziehn dahin

durchs tiefe Blau, wie schöne stille Träume; -

mir ist, als ob ich längst gestorben bin,

und ziehe selig mit durch ewge Räume.


Seit ich ihn gesehen

Seit ich ihn gesehen,

Glaub' ich blind zu sein;

Wo ich hin nur blicke,

Seh' ich ihn allein:

Wie im wachen Traume

Schwebt sein Bild mir vor,

Taucht aus tiefstem Dunkel

Heller nur empor;


Sonst ist licht- und farblos

Alles um mich her,

Nach der Schwestern Spiele

Nicht begehr' ich mehr.

Möchte lieber weinen

Still im Kämmerlein;

Seit ich ihn gesehen,

Glaub' ich blind zu sein.


Pech


Wahrlich, aus mir hätte vieles

Werden können in der Welt,

Hätte tückisch nicht mein Schicksal

Sich mir in den Weg gestellt.


Hoher Ruhm war zu erwerben,

Wenn die Waffen ich erkor;

Mich den Kugeln preis zu geben

War ich aber nicht der Thor.


Um der Musen Gunst zu buhlen

War ich minder schon entfernt;

Ein Gelehrter wär ich worden,

Hätt' ich lesen nur gelernt.


Bei den Frauen, sonder Zweifel,

Hätt' ich noch mein Glück gemacht,

Hätten sie mich aller Orten

Nicht unmenschlich ausgelacht.


Wie zum reichen Mann geboren,

Hätt' ich diesen Stand erwählt,

Hätte nicht vor allen Dingen

Immer mir das Geld gefehlt.


Über einen Staat zu herrschen

War vor allen ich der Mann,

Meine Gaben und Talente

Wiesen diesen Platz mir an.


König hätt' ich werden sollen,

Wo man über Fürsten klagt,

Doch mein Vater war ein Bürger,

Und das ist genug gesagt.


Wahrlich, aus mir hätte vieles

Werden können in der Welt,

Hätte tückisch nicht mein Schicksal

Sich mir in den Weg gestellt.



Die letzten Sonette 2


Ich fühle mehr und mehr die Kräfte schwinden;

Das ist der Tod, der mir am Herzen nagt,

Ich weiß es schon und, was ihr immer sagt,

Ihr werdet mir die Augen nicht verbinden.


Ich werde müd' und müder so mich winden,

Bis endlich der verhängte Morgen tagt,

Dann sinkt der Abend und, wer nach mir fragt,

Der wird nur einen stillen Mann noch finden.


Daß so vom Tod ich sprechen mag und sterben,

Und doch sich meine Wangen nicht entfärben,

Es dünkt euch muthig, übermuthig fast.


Der Tod! - der Tod? - Das Wort erschreckt mich nicht,

Doch hab' ich im Gemüth ihn nicht erfaßt,

Und noch ihm nicht geschaut in's Angesicht.


Die Müllerin

Die Mühle, die dreht ihre Flügel,
    Der Sturm, der sauset darin;
Und unter der Linde am Hügel,
    Da weinet die Müllerin:

Laß sausen den Sturm und brausen,
    Ich habe gebaut auf den Wind;
Ich habe gebaut auf Schwüre –
    Da war ich ein thörichtes Kind.

Noch hat mich der Wind nicht belogen,
    Der Wind, der blieb mir treu;
Und bin ich verarmt und betrogen –
    Die Schwüre, die waren nur Spreu.

Wo ist, der sie geschworen?
    Der Wind nimmt die Klagen nur auf;
Er hat sich aufs Wandern verloren –
    Es findet der Wind ihn nicht auf.


Das Riesen-Spielzeug

Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohl bekannt,

Die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand;

Sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,

Du fragest nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.

Einst kam das Riesen-Fräulein aus jener Burg hervor,

Erging sich sonder Wartung und spielend vor dem Thor

Und stieg hinab den Abhang bis in das Thal hinein,

Neugierig zu erkunden, wie’s unten möchte sein.

Mit wen’gen raschen Schritten durchkreuzte sie den Wald,

Erreichte gegen Haslach das Land der Menschen bald,

Und Städte dort und Dörfer und das bestellte Feld

Erschienen ihren Augen gar eine fremde Welt.

Wie jetzt zu ihren Füßen sie spähend niederschaut,

Bemerkt sie einen Bauer, der seinen Acker baut;

Es kriecht das kleine Wesen einher so sonderbar,

Es glitzert in der Sonne der Pflug so blank und klar.

Ei! artig Spielding! ruft sie, das nehm’ ich mit nach Haus.

Sie knieet nieder, spreitet behend ihr Tüchlein aus,

Und feget mit den Händen, was da sich alles regt,

Zu Haufen in das Tüchlein, das sie zusammen schlägt;

Und eilt mit freud’gen Sprüngen, man weiß, wie Kinder sind,

Zur Burg hinan und suchet den Vater auf geschwind:

Ei Vater, lieber Vater, ein Spielding wunderschön!

So Allerliebstes sah ich noch nie auf unsern Höh’n.

Der Alte saß am Tische und trank den kühlen Wein,

Er schaut sie an behaglich, er fragt das Töchterlein:

Was Zappeliges bringst du in deinem Tuch herbei?

Du hüpfest ja vor Freuden; laß sehen, was es sei.

Sie spreitet aus das Tüchlein und fängt behutsam an,

Den Bauer aufzustellen, den Pflug und das Gespann;

Wie alles auf dem Tische sie zierlich aufgebaut,

So klatscht sie in die Hände und springt und jubelt laut.

Der Alte wird gar ernsthaft und wiegt sein Haupt und spricht:

Was hast du angerichtet? das ist kein Spielzeug nicht!

Wo du es hergenommen, da trag’ es wieder hin,

Der Bauer ist kein Spielzeug, was kommt dir in den Sinn!

Sollst gleich und ohne Murren erfüllen mein Gebot;

Denn, wäre nicht der Bauer, so hättest du kein Brod;

Es sprießt der Stamm der Riesen aus Bauernmark hervor,

Der Bauer ist kein Spielzeug, da sei uns Gott davor!

Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt,

Die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand,

Sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,

Und fragst du nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.



Die alte Waschfrau


Du siehst geschäftig bei dem Linnen

die Alte dort in weißem Haar,

die rüstigste der Wäscherinnen

im sechsundsiebenzigsten Jahr.

So hat sie stets mit sauerm Schweiß

ihr Brot in Ehr und Zucht gegessen

und ausgefüllt mit treuem Fleiß

den Kreis, den Gott ihr zugemessen.


Sie hat in ihren jungen Tagen

geliebt, gehofft und sich vermählt;

sie hat des Weibes Los getragen,

die Sorgen haben nicht gefehlt;

sie hat den kranken Mann gepflegt,

sie hat drei Kinder ihm geboren;

sie hat ihn in das Grab gelegt

und Glaub' und Hoffnung nicht verloren.


Da galt's, die Kinder zu ernähren;

sie griff es an mit heiterm Mut,

sie zog sie auf in Zucht und Ehren,

der Fleiß, die Ordnung sind ihr Gut.

Zu suchen ihren Unterhalt

entließ sie segnend ihre Lieben,

so stand sie nun allein und alt,

ihr war ihr heitrer Mut geblieben.


Sie hat gespart und hat gesonnen

und Flachs gekauft und nachts gewacht,

den Flachs zu feinem Garn gesponnen,

das Garn dem Weber hingebracht;

der hat's gewebt zu Leinewand.

Die Schere brauchte sie, die Nadel,

und nähte sich mit eigner Hand

ihr Sterbehemde sonder Tadel.


Ihr Hemd, ihr Sterbehemd, sie schätzt es,

verwahrt's im Schrein am Ehrenplatz;

es ist ihr Erstes und ihr Letztes,

ihr Kleinod, ihr ersparter Schatz.

Sie legt es an, des Herren Wort

am Sonntag früh sich einzuprägen;

dann legt sie's wohlgefällig fort,

bis sie darin zur Ruh sie legen.


Und ich, an meinem Abend, wollte,

ich hätte, diesem Weibe gleich,

erfüllt, was ich erfüllen sollte

in meinen Grenzen und Bereich;

ich wollt', ich hätte so gewußt

am Kelch des Lebens mich zu laben,

und könnt' am Ende gleiche Lust

an meinem Sterbehemde haben.