LENAU, Nikolaus


Herbstgefühl


Mürrisch braust der Eichenwald,

Aller Himmel ist umzogen,

Und dem Wandrer, rauh und kalt,

Kommt der Herbstwind nachgeflogen.


Wie der Wind zu Herbsteszeit

Mordend hinsaust in den Wäldern,

Weht mir die Vergangenheit

Von des Glückes Stoppelfeldern.


An den Bäumen, welk und matt,

Schwebt des Laubes letzte Neige,

Niedertaumelt Blatt auf Blatt

Und verhüllt die Waldessteige;


Immer dichter fällt es, will

Mir den Reisepfad verderben.

Daß ich lieber halte still,

Gleich am Orte hier zu sterben.


Wieder ist, wie bald! wie bald!

Mir ein Jahr dahingeschwunden.

Fragend rauscht es aus dem Wald:

›Hat dein Herz sein Glück gefunden?‹


Waldesrauschen, wunderbar

Hast du mir das Herz getroffen!

Treulich bringt ein jedes Jahr

Welkes Laub und welkes Hoffen.


Auf dem Teich, dem Regungslosen


Auf dem Teich, dem Regungslosen,

Weilt des Mondes holder Glanz,

Flechtend seine bleichen Rosen

In des Schilfes grünen Kranz.


Hirsche wandeln dort am Hügel,

Blicken [in]1 die Nacht empor;

Manchmal regt sich das Geflügel

Träumerisch im tiefen Rohr.


Weinend muß mein Blick sich senken;

Durch die tiefste Seele geht

Mir ein süßes Deingedenken,

Wie ein stilles Nachtgebet.



Vergangenheit


Hesperus, der blasse Funken,

Blinkt und winkt uns traurig zu.

Wieder ist ein Tag gesunken

In die stille Todesruh;


Leichte Abendwölkchen schweben

Hin im sanften Mondenglanz,

Und aus bleichen Rosen weben

Sie dem toten Tag den Kranz.


Friedhof der entschlafnen Tage,

Schweigende Vergangenheit!

Du begräbst des Herzens Klage,

Ach, und seine Seligkeit!


Ach wärst du mein, es wär’ ein

Ach wärst du mein, es wär' ein schönes Leben!

So aber ists Entsagen nur und Trauern,

Und ein verlornes Grollen und Bedauern;

Ich kann es meinem Schicksal nicht vergeben.


Undank tut wohl und jedes Leid der Erde;

Ja! meine Freund' in Särgen, Leich' an Leiche,

Sind ein gelinder Gram, wenn ichs vergleiche

Dem Schmerz, daß ich dich nie besitzen werde.


Schilflied 5


Auf dem Teich, dem regungslosen,

Weilt des Mondes holder Glanz,

Flechtend seine bleichen Rosen

In des Schilfes grünen Kranz.


Hirsche wandeln dort am Hügel,

Blicken in die Nacht empor;

Manchmal regt sich das Geflügel

Träumerisch im tiefen Rohr.


Weinend muß mein Blick sich senken;

Durch die tiefste Seele geht

Mir ein süßes Deingedenken,

Wie ein stilles Nachtgebet!


Nebel

Du, trüber Nebel, hüllest mir

Das Tal mit seinem Fluß,

Den Berg mit seinem Waldrevier

Und jeden Sonnengruß.

Nimm fort in deine graue Nacht

Die Erde weit und breit!

Nimm fort, was mich so traurig macht,

Auch die Vergangenheit!



Einsamkeit

Wild verwachsne dunkle Fichten,

Leise klagt die Quelle fort;

Herz, das ist der rechte Ort

Für dein schmerzliches Verzichten!


Grauer Vogel in den Zweigen!

Einsam deine Klage singt,

Und auf deine Frage bringt

Antwort nicht des Waldes Schweigen.


Wenns auch immer schweigen bliebe,

Klage, klage fort; es weht,

Der dich höret und versteht,

Stille hier der Geist der Liebe.


Nicht verloren hier im Moose,

Herz, dein heimlich Weinen geht,

Deine Liebe Gott versteht,

Deine tiefe, hoffnungslose!



Der Abend


Die Wolken waren fortgezogen,

Die Sonne strahlt' im Untergang

Und am Gebirg der Regenbogen,

Als ich von meinem Lager sprang.

Da griff ich nach dem Wanderstabe,

Sprach meinem Wirt ein herzlich Wort

Für Ruhestatt und milde Labe

Und zog in stiller Dämmrung fort.


Der schwere Abend

Die dunklen Wolken hingen

Herab so bang und schwer,

Wir beide traurig gingen

Im Garten hin und her


So heiß und stumm, so trübe

Und sternlos war die Nacht,

So ganz wie unsre Liebe

Zu Tränen nur gemacht.


Und als ich mußte scheiden

Und gute Nacht dir bot,

Wünscht ich bekümmert beiden

Im Herzen uns den Tod.


Aus!

Ob jeder Freude seh ich schweben

Den Geier bald, der sie bedroht.

Was ich geliebt, gesucht im Leben,

Es ist verloren, oder tot.


Fortriß der Tod in seinem Grimme

Von meinem Glück die letzte Spur:

Das Menschenherz hat keine Stimme

Im finstern Rate der Natur.


Ich will nicht länger töricht haschen

Nach trüber Fluten hellem Schaum,

Hab aus den Augen mir gewaschen

Mit Trängen scharf den letzten Traum.


Himmelstrauer


Am Himmelsantlitz wandelt ein Gedanke,

Die düstre Wolke dort, so bang, so schwer;

Wie auf dem Lager sich der Seelenkranke,

Wirft sich der Strauch im Winde hin und her.


Vom Himmel tönt ein schwermutmattes Grollen,

Die dunkle Wimper blinzet manches Mal,

So blinzen Augen, wenn sie weinen wollen, -

Und aus der Wimper zuckt ein schwacher Strahl. -


Nun schleichen aus dem Moore kühle Schauer

Und leise Nebel übers Heideland;

Der Himmel ließ, nachsinnend seiner Trauer,

Die Sonne lässig fallen aus der Hand.


Meeresstille


Stille! – jedes Lüftchen schweiget,

Jede Welle sank in Ruh,

Und die matte Sonne neiget

Sich dem Untergange zu.


Ob die Wolke ihn belüde

Allzutrübe, allzuschwer,

Leget sich der Himmel, müde,

Nieder auf das weiche Meer.


Und vergessend seiner Bahnen,

Seines Zieles, noch so weit!

Ruht das Schiff mit schlaffen Fahnen

In der tiefen Einsamkeit.


Daß den Weg ein Vogel nähme,

Meinem Aug ein holder Fund!

Daß doch nur ein Fischlein käme,

Fröhlich tauchend aus dem Grund!


Doch kein Fisch, der sich erhübe,

Und kein Vogel kommen will.

Ist es unten auch so trübe?

Ist es unten auch so still? –


Wie mich oft in grünen Hainen

Überrascht' ein dunkles Weh,

Muß ich nun auch plötzlich weinen,

Weiß nicht wie? – hier auf der See.


Trägt Natur auf allen Wegen

Einen großen, ewgen Schmerz,

Den sie mir als Muttersegen

Heimlich strömet in das Herz?


O, dann ist es keine Lüge,

Daß im Schoß der Wellennacht

In verborgener Genüge

Ein Geschlecht von Menschen wacht.


Dort auch darf der Freund nicht fehlen,

Wie im hellen Sonnentag,

Dem Natur ihr Leid erzählen,

Der mit ihr empfinden mag.


Doch geheim ist seine Stelle

Und Geheimnis, was er fühlt,

Dem die Tränen an der Quelle

Schon das Meer von dannen spült.



An Fr. Kleyle


Vergib, vergib, Geliebter, dem Gesange,

Der deines Schmerzes leisen Schlummer stört,

Der dir Erinnerungen, süße, bange,

Herauf aus ihrer stillen Gruft beschwört!


Gedenkst du noch des Abends, den die Götter

Auf uns herabgestreut aus milder Hand,

So blühend, leicht, wie junge Rosenblätter,

Denkst du des Abends noch am Leithastrand?


Im Haine sprang von Baum zu Baum die Röte,

Sie wiegte sich auf Wipfeln, mischte froh

Sich in den Wellentanz, der zum Geflöte

Der Nachtigallen rasch vorüberfloh.


Wir aber schritten traulich durch die Schatten,

Und, süß geschwätzig, uns zur Seite ging

Die Hoffnung, sprach vom Himmel treuer Gatten,

Wies dir von Lottchens Hand den güldnen Ring.


Schon sah mein Blick, der in die Zukunft spähte,

In langen Reihen Wonnetage ziehn;

Schon baut ich kühn mit leichtem Traumgeräte

Mein früh zerfallnes Glück an deines hin. –


Sanft senkten sich in feierliches Schweigen

Die Züge der Natur, kein Lüftchen sprach,

Sie schien ihr göttlich Angesicht zu neigen,

Als sänne still sie einer Freude nach,


Die Sterne tauchten aus dem Äthermeere,

Der Weste Hauch erwachte nun im Hain,

Die Blume trank des Himmels leise Zähre,

Und selig irrten wir im Mondenschein. – –


Doch kommt ein Sturm jetzt über meine Saiten,

Reißt wild mir von der Leier jenen Tag,

Den schönen Tag mit allen Seligkeiten,

Pocht mir ans Herz mit rauhem Flügelschlag.


Herein! herein! du finsterer Geselle!

Du bist in meiner Brust kein neuer Gast;

Ich öffne dir die trümmervolle Zelle,

In welcher dein Geschlecht schon oft gerast!


Des Abends, Freund, gedenk ich, jenes andern!

Ich seh im winterlichen Dämmerlicht

Zur Kirche hin den langen Brautzug wandern,

Wo die Geliebte Treu und Herz dir bricht.


Der Priester sprach den Segen ob dem Paare,

Mir schien ein Mordgewölb das Heiligtum,

Ich sah die Hoffnung fallen am Altare,

Wie ward die süße Schwätzerin so stumm! –


Beflügle dich, mein Lied, denn immer trüber

Und tränenvoller stets wird deine Bahn;

O führe schnell den Freund mir da vorüber,

Wo ihn der Schauer nächtlichste umfahn!


Vorüber, Lied, am bretternen Geschirre,

Darein der Tod gepflanzt die Rose bleich;

Fort von der Stimmen kläglichem Gewirre,

Da dumpf vernagelnd dröhnt der Hammerstreich!


Wir sind vorbei. Der Sturm lenkt sein Gefieder

Zum dunkeln Horste der Vergangenheit,

Und Wehmut sinkt an meinen Busen wieder,

Die stille Freundin meiner Einsamkeit.


Faust – Der Tanz

……
MEPHISTOPHELES

Zu den Spielleuten.

Ihr lieben Leutchen, euer Bogen

Ist viel zu schläfrig noch gezogen!

Nach eurem Walzer mag sich drehen

Die sieche Lust auf lahmen Zehen,

Doch Jugend nicht voll Blut und Brand.

Reicht eine Geige mir zur Hand,

's wird geben gleich ein andres Klingen

Und in der Schenk ein andres Springen!

Der Spielmann dem Jäger die Fiedel reicht,

Der Jäger die Fiedel gewaltig streicht.

Bald wogen und schwinden die scherzenden Töne

Wie selig hinsterbendes Lustgestöhne,

Wie süßes Geplauder, so heimlich und sicher,

In schwülen Nächten verliebtes Gekicher.

Bald wieder ein Steigen und Fallen und Schwellen;

So schmiegen sich lüsterne Badeswellen

Um blühende nackte Mädchengestalt.

Jetzt gellend ein Schrei ins Gemurmel schallt:

Das Mädchen erschrickt, sie ruft nach Hilfe,

Der Bursche, der feurige, springt aus dem Schilfe.

Da hassen sich, fassen sich mächtig die Klänge

Und kämpfen verschlungen im wirren Gedränge.

Die badende Jungfrau, die lange gerungen,

Wird endlich vom Mann zur Umarmung gezwungen.

Dort fleht ein Buhle, das Weib hat Erbarmen,

Man hört sie von seinen Küssen erwarmen.

Jetzt klingen im Dreigriff die lustigen Saiten,

Wie wenn um ein Mädel zwei Buben sich streiten;

Der eine, besiegte, verstummt allmählig,

Die liebenden Beiden umklammern sich selig,

Im Doppelgetön die verschmolzenen Stimmen

Aufrasend die Leiter der Lust erklimmen.

Und feuriger, brausender, stürmischer immer,

Wie Männergejauchze, Jungferngewimmer,

Erschallen der Geige verführende Weisen,

Und alle verschlingt ein bacchantisches Kreisen.

Wie närrisch die Geiger des Dorfs sich gebärden!

Sie werfen ja sämtlich die Fiedel zur Erden.

Der zauberergriffene Wirbel bewegt,

Was irgend die Schenke Lebendiges hegt.

Mit bleichem Neide die dröhnenden Mauern,

Daß sie nicht mittanzen können, bedauern.

Vor allen aber der selige Faust

Mit seiner Brünette den Tanz hinbraust;

Er drückt ihr die Händchen, er stammelt Schwüre

Und tanzt sie hinaus durch die offene Türe.

Sie tanzen durch Flur und Gartengänge,

Und hinterher jagen die Geigenklänge;

Sie tanzen taumelnd hinaus zum Wald,

Und leiser und leiser die Geige verhallt.

Die schwingenden Töne durchsäuseln die Bäume,

Wie lüsterne, schmeichelnde Liebesträume.

Da hebt den flötenden Wonneschall

Aus duftigen Büschen die Nachtigall,

Die heißer die Lust der Trunkenen schwellt,

Als wäre der Sänger vom Teufel bestellt.

Da zieht sie nieder die Sehnsucht schwer,

Und brausend verschlingt sie das Wonnemeer.
…..


Die Albigenser
…..
„Wer ist der Grund der Welt? kannst du die Frage lösen?

»Die Geister sind von Gott; die Körper sind vom Bösen.«[...]

Bekenne noch, eh wir die Weih' an dir vollenden,

Wie du die Kirche siehst und ihre Gnadenspenden?

»Der Kirche sey der Geist entgegen und zuwider,

Sie läutet ihm zu Grab und singt ihm Sterbelieder.

Der Kirche Abendmahl ist nur gebacken Brod,

Die letzte Ölung kann nichts ändern an dem Tod.[...]

Die freie Forschung ist's, wozu wir uns bekennen.

Wir lassen uns den Geist nicht hemmen mehr und knechten;

Es gilt, das höchste Recht auf Erden zu verfechten

Auf! wecken wir vom Tod die heilige Geschichte,

Die erst lebendig wird im Geist und seinem Lichte;

Mit dieser Leuchte soll der Mensch den wunderbaren

Und heilig tiefen Schacht, des Heilands Herz, befahren.

Der volle Christus ist erschienen nicht auf Erden,

Sein göttlich Menschenbild muß noch vollendet werden.“
…..