REDING, Josef
Sollte ich
Sollte ich wirklich mal sterben
möchte‘ ich mich gern selbst beerben.
Ihr Kinder und Enkel
habt keine Bange
es ist nicht viel
was ich verlange:
von meinen Büchern nur zwei
oder drei,
ein selbstgeschriebenes auch dabei;
aus meinem Keller die Flasche Wein
sollte von meinem Geburtsjahrgang sein;
die Erbsensuppe, die oft entbehrte,
Gespräch mit einem, der sich sperrte;
ein Wort noch für jene
die Geduld mit mir hatten,
ein mahnender Wink für
die Zufriedenen, Satten!
Ach, liebe Erben,
hier ist die Entwarnung:
Lasst mit der Liebsten
mir noch eine Umarmung!
Das schwerste Wort
Das schwerste Wort
heißt nicht
Popocatepetl
wie der Berg
in Mexiko
und nicht
Chichicastenango
wie der Ort
in Guatemala
und nicht
Ouagadou
wie die Stadt
in Afrika.
Das schwerste Wort
heißt für
viele:
Danke!
Abschlussgebet
Wir wollen schaffen, Gott, ein Morgen
für alle Menschen lebenswert.
Wir wollen für den Nächsten sorgen,
bis der Bedrängte ist geborgen
und bis der Hungernde genährt.
Wir wollen schaffen, Gott, die Erde,
nach deinem Plan von Hass befreit,
auf dass für alle Heimat werde,
wo kein raubtier schreckt die Herde,
kein Mensch mehr vor Verzweiflung schreit.
Lass uns beginnen, Gott, im Heute,
lass uns mit dir den Tag bestehn.
Uns wachen, dass der Mensch nicht beute,
nicht Opfer werde mächt’ger Meute:
Wir wollen dich im nächsten sehn
Faulenzen
Manchmal möchte
man
faulenzen
wie ein
Gulli im
Sonnenschein,
wie ein
Rasenmäher
im Winter,
wie eine
Nachttischlampe
am Tag.
Meine Stadt
Meine Stadt ist oft schmutzig;
aber mein kleiner Bruder ist es auch,
und ich mag ihn.
Meine Stadt ist oft laut;
aber meine große Schwester ist es auch,
und ich mag sie.
Meine Stadt ist dunkel
wie die Stimme meines Vaters
und hell wie die Augen meiner Mutter.
Meine Stadt und ich sind Freunde,
die sich kennen;
nicht flüchtig kennen
wie die von ferne her,
die der Bürgermeister
manchmal über die Hauptstraße führt.
Er zeigt
ihnen nicht
die Schutthalden.
Zu Hause führen wir auch
unseren Besuch in das
Wohnzimmer und lassen ihn
mit unserem Mülleimer in Ruhe.
Aber manchmal, bevor ich
zur Schule gehe,
klopfe ich dem braven grauen Müllkasten
auf den Deckel,
dass er fröhlich klappert,
und am Schuttfeld werfe
ich grüßend einen
Stein auf die blitzende
Konservendose dahinten,
dass sie tanzt.
Ermunterung
Fragt, fragt, fragt,
bis man Euch sagt:
warum die Sonnenuhr nicht tickt,
warum ein Neinsager nicht nickt,
ob Ohren Augenlider haben,
ob man versichert Unglücksraben?
Fragt, fragt, fragt!
Fragt, fragt, fragt,
bis man Euch sagt:
ob nur der ein guter Mann,
der am schnellsten schiessen kann,
ob nur das ‘ne gute Frau,
die am blanksten putzt den Bau?
Fragt, fragt, fragt!
Fragt, fragt, fragt,
bis man Euch sagt:
wie Vater eure Mutter nahm,
wie Mutter schliesslich euch bekam,
warum man Grenzen noch errichtet,
warum man Ernten heut vernichtet?
Fragt, fragt, fragt!
Fragt, fragt, fragt,
bis man Euch sagt:
warum der eine ist pampsatt,
der andere nichts zu beissen hat,
warum die einen höher stehn,
die anderen aber barfuss gehn?
Fragt, fragt, fragt!