SEUME, Johann Gottfried


Die Beterin


Auf des Hochaltares Stufen kniet

Lina im Gebet, ihr Antlitz glühet,

Von der Angst der Seele hingerissen,

Zu der Hochgebenedeiten Füßen.


Ihre heißgerungnen Hände beben,

Ihre bangen, nassen Blicke schweben

Um des Welterlösers Dornenkrone,

Gnade flehend vor des Vaters Throne:


Gnade ihrem Vater, dessen Schmerzen

Ihrem lieben, kummervollen Herzen

In des Lebens schönsten Blütetagen

Bitter jeder Freude Keim zernagen;


Rettung für den Vater ihrer Tugend,

Für den einz'gen Führer ihrer Jugend,

Dem allein sie nur ihr Leben lebet,

Über dem der Hauch des Todes schwebet.


Ihre tiefgebrochnen Seufzer wehen

Ihrer Andacht heißes, heißes Flehen

Hin zum Opfer-Weihrauch; Cherubinen

Stehn bereit, der Flehenden zu dienen.


Tragt, ihr Engel, ihre Engeltränen

Betend hin, den Vater zu versöhnen!

Frommer weinte um die Dornenkrone

Nicht Maria bei dem toten Sohne.


Siehe Freund, in den Verklärungsblicken

Strahlet stilles, seliges Entzücken;

Lina streicht die Tränen von den Wangen

Ist voll süßer Hoffnung weggegangen.


Eine Träne netzt auch meine Lider:

Vater, gib ihr ihren Vater wieder!

Gern wollt ich dem Tode nahetreten,

Könnte sie für mich so glühend beten!"


Die Gesänge

Wo man singet, laß dich ruhig nieder,
Ohne Furcht, was man im Lande glaubt;
Wo man singet wird kein Mensch beraubt:
Bösewichter haben keine Lieder.

Wenn die Seele tief in Gr am und Kummer,
Ohne Freunde, stumm, verlassen, liegt,
Weckt ein Ton, der sich elastisch wiegt,
Magisch sie aus ihrem Todesschlummer.

Wer sich nicht auf Melodienwogen
Von dem Trosse des Planeten hebt
Und hinüber zu den Geistern lebt,
Ist um seine Seligkeit betrogen

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Gebet
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Die Zwietracht schlingt mit Schlangenarmen
Die Todesfackel ohn' Erbarmen
Und würgt mit Wut in einem Augenblick,
Der göttlichen Vernunft zur Schand e,
Die ganze Hoffnung ganzer Lande
Und mancher Jahre schönes Glück.

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Das Urverhängnis aller Dinge
Liegt weislich in dem großen Ringe
Durch lange Folgen von Notwendigkeit ,
Und nichts wird – wenn auch schwache Seelen
Mit Gram sich bis zur Folter quälen –
Im Schicksal anders eingereiht.

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Verlangtes Gutachten über Menschen und ihren Umgang
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Die Meinung und der Ruf vergrößern immer
Und malen optisch allemal
Den Gegenstand durch oft gebrochnen Strahl,
Das Gute besser, Böses schlimmer,
Das Dunkle dunkler, blendender den Schimmer:
Nur selten ist ein Mann, wie ihn der Ruf
Mit seiner ehrnen S timme schuf.

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