KASCHNITZ, Marie Luise



Genazzano


Genazzano am Abend

Winterlich

Gläsernes Klappern

Der Eselshufe

Steilauf die Bergstadt.

Hier stand ich am Brunnen

Hier wusch ich mein Brauthemd

Hier wusch ich mein Totenhemd.

Mein Gesicht lag weiß

Im schwarzen Wasser

Im wehenden Laub der Platanen.

Meine Hände waren

Zwei Klumpen Eis

Fünf Zapfen an jeder

Die klirrten.



Requiem IV - Abgesang


Fährfrau mit dem runden Hut

Hast du ihn gesehen? Ja, sagt die Fährfrau.


Hirte mit dem toten Lamm

Hast du ihn gesehen? Ja, sagt der Hirte.


Bergmann mit dem weißen Licht

Hast du ihn gesehen? Ja, sagt der Bergmann.


Welchen Weges ging er, Fährfrau?

Übers Wasser trockenen Fußes.


Welchen Weges ging er, Hirte?

Berg hinüber leichten Atems.


Welchen Weges ging er, Bergmann?

In der Erde lag er still.


Was stand auf seinem Gesicht geschrieben?

Frieden sagen alle. Frieden.


Bräutigam Froschkönig


Wie häßlich ist

Dein Bräutigam

Jungfrau Leben


Eine Rüsselmaske sein Antlitz

Eine Patronentasche sein Gürtel

Ein Flammenwerfer

Seine Hand


Dein Bräutigam Froschkönig

Fährt mit Dir

(Ein Rad fliegt hierhin, eins dorthin)

Über die Häuser der Toten


Zwischen zwei

Weltuntergängen

Preßt er sich

In Deinen Schoß


Im Dunkeln nur

Ertastest Du

Sein feuchtes Haar


Im Morgengrauen

Nur im

Morgengrauen

Nur im


Erblickst Du seine

Traurigen

Schönen

Augen.



Dein Schweigen


Dein Schweigen

Du entfernst dich so schnell

Längst vorüber den Säulen des Herakles

Auf dem Rücken von niemals

Geloteten Meeren

Unter Bahnen von niemals

Berechneten Sternen

Treibst Du

Mit offenen Augen.


Dein Schweigen

Meine Stimme

Dein Ruhen

Mein Gehen

Dein Allesvorüber

Mein Immernochda.


Nicht mutig


Die Mutigen wissen

Dass sie nicht auferstehen

Dass kein Fleisch um sie wächst

Am jüngsten Morgen

Dass sie nichts mehr erinnern

Niemandem wieder begegnen

Dass nichts ihrer wartet

Keine Seligkeit

Keine Folter

Ich

Bin nicht mutig


Einer von zweien


In meinem Gedächtnis wohnst du

Mein Leib ist dein Haus

Mir aus den Augen siehst du den Frühling

Noch immer die rote Kastanie.


Auf dem Fluss jedes Tages

Kommst du geschwommen

Steigst mit jeder Sonne

Mir über den Hügel.

Hände hab ich

Zehn Finger und flinke Füße

Näher kommst du

Ich fasse dich nicht.


Ihr sollt in mir sehen

Einen von zweien

Und hinter meinen Worten

Unruhig horchen

Auf die andere Stimme.


Ihr sollt sehen wie meine Wunde

Zu glühen beginnt

Wenn die Welle kommt

Der Muschelgeruch der Häfen

Wenn im Buchenwald unsichtbar

Maisingen die Vögel.


Ein Gedicht


Ein Gedicht, aus Worten gemacht.

Wo kommen die Worte her?

Aus den Fugen wie Asseln,

Aus dem Maistrauch wie Blüten,

Aus dem Feuer wie Pfiffe,

Was mir zufällt, nehm ich,


Es zu kämmen gegen den Strich,

Es zu paaren widernatürlich,

Es nackt zu scheren,

In Lauge zu waschen

Mein Wort


Meine Taube, mein Fremdling,

Von den Lippen zerrissen,

Vom Atem gestoßen,

In den Flugsand geschrieben


Mit seinesgleichen

Mit seinesungleichen


Zeile für Zeile,

Meine eigene Wüste

Zeile für Zeile

Mein Paradies.


Schreibend


Schreibend wollte ich

Meine Seele retten.

Ich versuchte Verse zu machen

Es ging nicht.

Ich versuchte Geschichten zu erzählen

Es ging nicht.

Man kann nicht schreiben

Um seine Seele zu retten.

Die aufgegebene treibt dahin und singt.



Juni


Schön wie niemals sah ich jüngst die Erde.

Einer Insel gleich trieb sie im Winde.

Prangend trug sie durch den reinen Himmel

Ihrer Jugend wunderbaren Glanz.


Funkelnd lagen ihre blauen Seen,

Ihre Ströme zwischen Wiesenufern.

Rauschen ging durch ihre lichten Wälder,

Große Vögel folgten ihrem Flug.


Voll von jungen Tieren war die Erde.

Fohlen jagten auf den grellen Weiden,

Vögel reckten schreiend sich im Neste,

Gurrend rührte sich im Schilf die Brut.


Bei den roten Häusern im Holunder

Trieben Kinder lärmend ihre Kreisel.

Singend flochten sie auf gelben Wiesen

Ketten sich aus Halm und Löwenzahn.


Unaufhörlich neigten sich die grünen

Jungen Felder in des Windes Atem,

Drehten sich der Mühlen schwere Flügel,

Neigten sich die Segel auf dem Haff.


Unaufhörlich trieb die junge Erde

Durch das siebenfache Licht des Himmels.

Flüchtig nur wie einer Wolke Schatten

Lag auf ihrem Angesicht die Nacht.



Requiem

…..
Mit dem Tod muss ich umgehn

dem schwarzen Hengst,

der sprengt mit der Schulter

die sicheren Wände

…..
Bis überm Bahndamm die gefleckten Hunde

aufheulten wie ein Wurf verdammter Seelen

…..
Mit Asche bedeckten sie da

das Feuer deines Herzens,

zusehen musste ich, wie es erlosch

Funke um Funke

…..
Aber schweigen möchte ich über das

was nur uns beide anging.

Über die Namen, die wir uns gaben

täglich neue

Und wie wir beieinander ruhten ohne Furcht.


Denn du hast mich gebettet

im Schoße Geheimnis

zwischen Wände die sich auftun

unter Sterne die schwanken

…..


Gelassene Natur


Was kümmert dich, Natur,

Des Menschen Los?

Du hegst und achtest nur

Die Frucht im Schoß.


Nicht störet deine Ruh

Der Lärm der Schlacht;

Nicht weinst und wachest du

Mit dem, der wacht.


Dein Ohr vernimmt es kaum

Das bittre Weh.

Es blüht dein Blütenbaum

So schön wie je.


Manch armer Leib verwest

Lebendig tot,

Indessen du begehst

Das Abendrot.


Dir kann es gleichviel sein,

Wer wen erschlug:

Wir gehen in dich ein,

Das ist genug.



Hiroshima


Der den Tod auf Hiroshima warf

Ging ins Kloster, läutet dort die Glocken.

Der den Tod auf Hiroshima warf

Sprang vom Stuhl in die Schlinge, erwürgte sich.

Der den Tod auf Hiroshima warf

Fiel in Wahnsinn, wehrt Gespenster ab

Hunderttausend, die ihn angehen nächtlich,

Auferstandene aus Staub für ihn.


Nichts von alledem ist wahr.

Erst vor kurzem sah ich ihn

Im Garten seines Hauses vor der Stadt.

Die Hecken waren noch jung und die Rosenbüsche zierlich.

Das wächst nicht so schnell, dass sich einer verbergen könnte

Im Wald des Vergessens. Gut zu sehen war

Das nackte Vorstadthaus, die junge Frau

Die neben ihm stand im Blumenkleid

Das kleine Mädchen an ihrer Hand

Der Knabe, der auf seinem Rücken saß

Und über seinem Kopf die Peitsche schwang.

Sehr gut erkennbar war er selbst

Vierbeinig auf dem Grasplatz, das Gesicht

Verzerrt von Lachen, weil der Photograph

Hinter der Hecke stand, das Auge der Welt.



Eines Tages


Es ist kein Garten so fernab gelegen,

Dass nächtens nicht der wilde Schrei der Welt

Gleich einem wunderbaren Feuerregen

Vernichtend auch auf seine Saaten fällt.


Und keinem ist der Kreis so fest gezogen,

Dass eines Tages nicht ein wilder Geist

Ihm mit der Urgewalt der Meereswogen

Furcht und Erbarmen aus dem Herzen reißt.


Ein wölfisch Wesen springt aus Lammesmienen,

Und keiner lebt, der nicht in sich entdeckte

Ein fremdes ungeheures Element.


Und weil er lebt, muss er dem Chaos dienen

Und einem Neuen, das die Zeit erweckte,

Und dessen Sinn und Ende niemand kennt.



Nicht gesagt


Nicht gesagt

Was von der Sonne zu sagen gewesen wäre

Und vom Blitz nicht das einzige Richtige

Geschweige denn von der Liebe.

Versuche. Gesuche. Mißlungen

Ungenaue Beschreibung


Weggelassen das Morgenrot

Nicht gesprochen vom Sämann

Und nur am Rande vermerkt

Den Hahnenfuß und das Veilchen.


Euch nicht den Rücken gestärkt

Mit ewiger Seligkeit

Den Verfall nicht geleugnet

Und nicht die Verzweiflung


Den Teufel nicht an die Wand

Weil ich nicht an ihn glaube

Gott nicht gelobt

Aber wer bin ich daß



Jeder


Jeder muss einmal

Sein Vaterland besingen,

Sein Nest beschmutzen.

Auch ich.

Die Heimat, dieses kleine Stück Europa,

Wo Mädchen Soldaten nicht mehr lieben,

Wo Soldaten sich selbst nicht mehr lieben.

Wie befremdlich.


Was fällt mir ein, wenn ich Deutschland sage?

Mein Weg zur Arbeit

Durch den Park von Weimar.

Das grüne Herz.

Flieder im Belvedere.

Tiefurt. Stampfender Tanz.

Der Bauhausschüler.

Triadisches Ballett.


Was noch fällt mir ein?

Die Tiefebene sommerlich.

Und hinter den breiten Hügeln

Auftauchend Türme.

Die Weichsel bei Hochwasser.

Rasch hintreibende Dächer.

Bäume entwurzelte.

Auch der Niederrhein.


Xanten, der angetriebene Leichnam.

Der große Himmel.

Meine Heimat vor allem.

Nussbäume, Linden unterm Gewitterhimmel.

Weinfässer zum Schwefeln vor die Häuser gestellt.

Doppeladler im Wappen

Oleander.


Was außerdem?

Hakenkreuzfahnen,

Dröhnende Stiefelschritte,

Geflüstertes Grauen.

Züge entlang dem Lahnfluss voll

Nicht singender Soldaten.

Judenzüge.

Detonationen. Christbäume sogenannte.

Asche zu Asche.


Dann alles wieder neu

Aus dem Boden gezogen.

Hochhäuser, Hochöfen, Hochstädte, Autobahnen.

Ferien im Ausland. Alte Kameraden.

Weihestimmung im Bachverein.


Und doch, mein Jahrhundert vorüber,

Wird mit Stacheldrahtzäunen

Niemand mehr Geld verdienen.

Diesseits und jenseits der Grenzen

Bedeuten Worte dasselbe

Vaterländer und die alten

Schuldgefühle haben ausgespielt.



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Was ist es, das an diesen Ort mich bannte

Und immer neu das Bild mich deuten ließ,

Da ich die Absicht nimmermehr erkannte,

Die solche Fülle schuf und leben ließ?

Ein Spiel der Schöpferkraft nur muss ich wähnen,

Ungleich gemischt aus Heiterkeit und Tränen,


So dünkt mich Schein und Finsternis verwirrend

Auch auf der Erde Angesicht gelegt

Und Menschen seh ich durch die Zeiten irrend

Von jedem Hauch getragen und bewegt.

Und doch erkenn ich Tag um Tag genauer:

Es wiegt die Freude schwerer als die Trauer.



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Morgen


Morgen passen mir die roten Schuhe

Morgen bin ich leicht und hafte nirgends

Morgen bläst mich dein geheimer Atem

Meertief über das zerwühlte Herzland

Morgen spielt der Abend mir vom Blatt

Rotem Sichelblatt des Eukalyptus

Drei vergessene winzige Etüden

Hingetupfte schwarz und elfenbein.



Herbst im Breisgau

I

Drei Schritte von meinem Vaterhaus

Bin ich über meinen Schatten gesprungen.

Da hingen die Dächer firstab im Blau

Die Linden wurzelten im Wolkenbett

Die Toten flogen vom Weinberg auf

Seltene Vögel.


Gekleidet in die graue Wolle der Waldrebe

Steigt der Herbst von der Höhe.

Sitzt bei den Kindern am Wiesenfeuer.

Die braten die Frösche

Die knacken die Schenkel

Die schlagen wenn der Abend graut

Aus dem wilden schwarzen Kartoffelkraut

Funken wie Sterne.


Der Sog der Schwalben ist stärker als alles andre

Er zieht aus der glitzernden Wiese die Zeitlose auf

Und die Nebel die kommen und fliehen.

Weil die Stare so hoch im Himmel schrieen

Verlassen die Bienen den Efeu

Und die Nebel die kommen und fliehen.

Die Blätter der Linde lassen sich fallen

Und die Blätter der Rosen.

Ein Zug dorfaus

Die riesigen Sonnenblumen voraus

Die wilden schwarzen Medusen.


Dem Fels im Walde steigt der Nebel zu.

Begräbt am Hang die Buchen und den Wein.

Wo sonst die rauhen Wurzeln sich verschlingen

Hängt graues Tauwerk aus den Eisenringen.

Versteinte Muscheln färben sich opal

Meerüber kommen die verlornen Segelschiffe

Und die Kinder gehen schlafen in der Grotte.

Feine Skelette legen sich zur Ruh.


Im Hohlweg zieht die kleine Prozession

Jesus aus Holz geschnitzt

Auf dem Esel aus Holz geschnitzt.

Jesus mit rosenroten Wangen

Die kleinen Räder knarren und singen

Eine Krone für mich eine Krone für Dich

Aus der roten Berberitze.


In den Springbrunnen fällt die Nacht

Wie ein Stein vom himmel.

Schlägt dem Putto ins breite Gesicht,

Reißt ihm die Locken herunter.

Auf der Rose dem schwankenden Lächeln

Treiben die Fische tot.


Im grünen Osten steht der Fürst der Welt

Die Blüte in der Hand.

Im roten Westen steigt mit Lilienhänden

Das Fleisch gen Himmel.

Mein Bett das leichte Holz

Treibt auf dem versandenden Strome.

Die Uhren schlagen. Keine Stunde gilt.



Der Leuchtturm


Wer weiß, ob diese Alten auf der Insel

Wirklich die richtigen waren, das Kind zu erziehen.

Ein Trinker, eine Schlampe. Sie gaben es her unter Tränen.

Da kam es aufs Festland, weit fort, hinter Zäune und Mauern

Zu anderen Kindern. Die nahmen es auf die hörner,

Das junge Freiwild. Höhnten sein Gebrechen,

Das Heimweh hieß, verschrieen seine Träume.


Wer weiß, ob aus diesen Kindern überkurz überlang

Nicht Freunde geworden wären. Aber nicht jeder

Nimmt sich zusammen, hält den Atem an.

Nicht jeder übersteht seine finsteren Weihen.

Der Knabe, unserer, hielt den Atem nicht an.

Er trank die Feindschaft der Welt, eine bittere Salzflut,

erbrach sie und floh. Schlief einmal draußen im Stadtwald

Unter klirrenden Zapfen, wurde zurückgebracht.

Kam ein zweites Mal weiter, erreichte die Straße meerwärts.

Fiel dort auf, weil er lief mit eingezogenen Fäusten

Und wehenden Haaren, wurde zurückgebracht.

Beim drittten Mal fand ihn kein lebendes Wesen mehr.

Nur der Finger des Leuchtturms, der strich über Düne und Hafen,

Ertastete zwei aufgerissene Augen,

Die hinüberstarrten zur Insel. Kam und ging

So lange, bis das feste Knabenfleisch

Geschmolzen war. Da liegt es unser Heimweh,

Von Vögeln ausgeweidet. Ein Skelett

Im schwarzen Hafer. Flugsand deckt es zu.



Kindheit


Der Kindheit Vogel ruft im lichten Haine

So leise, ach so unerreichbar weit

Der Faulbaum duftet und die Wiesenraine

Sind wie mit Sternentalern überstreut

Wir hatten einst ein Haus im Lebensbaume

Das ist nicht mehr, ob auch der Stamm noch ragt

Und in dem dunklen bitterkühlen Raume

Der Wind gleich einer Geisterstimme klagt.


Wir ritten einst auf einem kleinen Pferde

Sein Hufschlag ging so weich im tiefen Sand.

Der ist nicht mehr, der uns zu reiten lehrte

Und ruhig in des Kreises Mitte stand.


O strenger Klang der Geigen in der Stille,

Zum Fenster schlichen wir im Mondesstrahl

Auf Wald und Garten lag des Lichtes Fülle

Und Stimmen wogten aus dem Gartensaal.


Um Stall und Scheuer huschten dunkle Schatten

Am Brunnenrohre lag ein weißer See

Und zu der Lache drängten sich die Ratten

Und tranken gierig und verschwanden jäh.


O hüte dich, der Kindheit nachzusinnen

So schaurig ist's im tiefen stillen Tal

Der ersten Freude Glanz wirst du gewinnen

Doch auch des ersten Grauens bittre Qual.


Noch ist's wie ehedem. Die Blüten wehen

Der Kuckuck ruft im tiefen Waldesdicht,

Dem Schmerz, der Lust ein Ende abzusehen

Wir lerntens nicht.