MÜLLER, Inge
Mond neumond deine sichel
Mond neumond deine sichel
Mäht unsre Zeit wie Gras
Wir stehn aufrecht im Himmel
Auf dünnem Stundenglas.
Der Stern geht seine Wege
Wir suchen unsern Weg
Wenn ich mich niederlege
Geh über mich hinweg.
Bilanz
Mein Sehn und Tun und Nachgedacht
Was hats eingebracht:
Fürs Tun gabs wenig
Fürs Nachdenken keinen Pfennig
Mein Bett hab ich im Freien gemacht
Und in der Nacht gelacht
Geweint auch und die Stimme klang
Tausendstimmig wild ein Schlachtgesang
Gegen Stein und Bein
Mein und Dein
Alles und allein sein.
Morgens sah ich die Sonne stehn
Und ging Fuß vor Fuß wie alle gehn
Wieder die Straße entlang.
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Gedicht
33 war ich ein gläubiges Kind
Meine Eltern warn gut und fleißig
Erwachsen wurde ich 39
Als der Krieg anfing.
Gehört hatte ich jenes und dieses
Gegen Hitler und dann für Stalin
Sah: der tat was und er ließ es
Als es ging auf ihn.
Meine erste Liebe war als der Krieg anfing
Und da ging er in den Krieg
Ich weinte und war ein dummes Ding
Im Verhältnis zur Nation sehr gering.
Bevor er fiel kam er zu mir
Ganz zerrissen vom Morden
Ich wußte nichts beßres als: bleib doch hier
Glücklich sind wir nicht geworden.
45 war jeder ein Greis
Ich wollte nicht leben und nicht sterben
Ich sah das Erbe ohne Erben
Und der Einsatz war der Preis.
Weil ich gehen mußte ging ich
Suchte Grund
Und ich dachte an die Bäume im Park
Und an seinen zärtlichen Mund.
Bomben und Kanonen
Lehrten mich Geduld
Und die Blutenden schonen
Und nachdenken: was ist Schuld.
Unterm Schutt II
Und dann fiel auf einmal der Himmel um
Ich lachte und war blind
Und war wieder ein Kind
Im Mutterleib wild und stumm
Mit Armen und Beinen die ungeübt stießen
Und griffen und liefen
Bilder ringsum
Kein Boden kein Dach
Was ist – verschwunden
Ich bin eh ich war.
Ein Atemzug Stunden
Die andern! Ein Augenblick hell wie im Meer
Da klopft einer –
Den Globus her!
Daß ich mich halte
Brücken Land Pole
Millionen Hände brauch ich
Mich trägst du nicht, Tod, ich mach mich schwer
Bis sie kommen und graben
Bis sie mich haben
Du gehst leer.
Freunde
Im Zimmer geblieben
Ist der Tabaksrauch
Ihr geht, gern ging ich auch
Und wenns zum Fenster wär
Die Gardine zur Seite schieben
Im Schnee unterm Wind beugt sich ein Strauch
Das Eis am Fenster schluckt mein Hauch
Ich seh eure Schatten wandern
Einer vor über in dem andern
Die Wände um mich geben keinen Ton
Wo sind eure Stimmen? Kein Echo? Schon
Ist alles leer, ich find nicht was ich hab
Und geh und wasche für morgen
Die Teetassen ab.
1945
Ich sah die Welt in Trümmern
Noch hatte ich nichts von der Welt gesehn
Ich sah den Tod und die Gewalt
Noch eh ich jung war, war ich alt
Und wußte, ohne zu verstehn.
Ich lernte Tote bergen
Lernte, Ertrunkene tragen (schwere Last)
Die Halbertrunkenen im Wege lagen
Den Fluß versperrend, so lernt ich laufen ohne Rast
Und Weinen ohne Tränen und Hassen
Eh die Liebe in mir einen Ausweg fand
Und war kein Lebendes das mir beistand
Wenn ich immer wieder fiel und aufstand weil da noch
Eins war, was mich nicht liegenließ
Das Fädchen, an dem aufgereiht
Wir alle hingen, wir, Zeugen, Samen
Dünner Faden gedreht aus Menschenhaut der sang
Und Hoffnung hieß und Brot und morgen weiterleben
Die Formel stand im zart gemeißelten Gipsgesicht des toten Fährmanns
In den weit offnen blinden Augen.
Brief einer Wehrmachtshelferin
Heute bin ich Soldat
Soll alles vergessen und schießen
Gestern saßen wir vor der toten Stadt
Du und ich dir zu Füßen.
Mein Kleid bringt die Post zurück
Ich komme vielleicht nicht wieder
Pflicht und Soldatenglück
Ich hasse Soldatenlieder.
Die Uniform auf mir und ein Gewehr
Eine Gasmaske und zwei Decken
Ich seh mich im Spiegel nicht mehr
Vorm Tod kann man sich nicht verstecken.
Jetzt weiß ich mehr von dir
Weiß wie uns die Männer verlassen
Blind vom Sieg oder blind vom Bier
Tod unterm Befehl: Hassen.
Ich lerne wie du im Gleichschritt gehn
Kann man Hassen lernen?
Soldaten sah ich an Laternen stehn
Soldaten hingen an den Laternen.
Die Nacht sie hat Pantoffel an
Aus Tierhaut und aus Gold
Im Stiefelschritt marschiert der Tag
Der unsre Nacht einholt.
Wenn morgen früh im Dämmerlicht
Der Star vom Dachrand schreit
Bleibt dein Gedicht und mein Gedicht
Wir und die Nacht sind weit.