MECKEL, Christoph
Vogel
Der Vogel ist von allem das Gegenteil –
Aber kein Gegenteil von Luft und Himmel
die sind Palast und Tanzraum der Vogelvölker.
Bis ans Ende der Weltnacht eine Dohle,
die im letzten Schnee des Märzmorgens ruft,
kann sein eine Elster, Stellas Silberkettchen
im Schnabel, wohin damit. Er ist nicht
Gegenteil des Lichts, des Meers, des Sommers,
der Stürme aus neunzig Richtungen des Nadir.
Er ist der Schwarze Milan und hat keine Feinde.
Mein Vogel, aber er kennt mich nicht.
Augen
gewidmet dem Gedenken Klabunds
Die Augen der Gesunden
erkennen die Welt
bis an den Rand des Atlantik,
die Augen der Kranken
durchschauen die Welt
bis zu der Stelle an der der Glanz
der Nordlichtblitze zu Ende geht.
Die Blicke der Toten
übersehen die ganze Erde
und erkennen selbst die alternden Engel
die hinter den Schlüssellöchern
schweigend sich drängen um einen Blick
in meine ratlosen Augen zu werfen.
Lied
Schlief ich, da nachts vorm Haus
anhielt ein Wagen;
sprang der Kutscher heraus:
»Unglück läßt fragen
wenn du was nötig hast
sollst du’s ihm sagen,
Unglück wär gern dein Gast
und Wegbereiter,
komm, wenn du Zeit für ihn hast,
Unglück muß weiter«
Sagte ich: »Freund, ich schlief
er wirds wohl wissen,
hab, da ich nicht nach ihm rief
nichts zu vermissen,
hab ja kein Paradies
je zu verbüßen
und käm das Glückstier, dies
trät ich mit Füßen
unter die Erde tief «
Lachte der Kutscher und rief:
»Unglück läßt grüßen“.
Lied zur Pauke
Laut verlacht verlaust verloren
Blut geschluckt und Kopf geschoren
abgetan und ausverkauft und
quergelegt und Haar gerauft und
angepfahlt und abgeschlacht und
alle Knochen klein gemacht und
übern Kopf die Haut gezogen und
und mit Eisen aufgewogen
krummgepeitscht und gradgestaucht und
angespuckt und Herz verhaucht und
Hundeschnauzen festgebissen
und die Arme abgerissen
ausgedört und kleingezwängt und
Steine um den Hals gehängt und
Riemen um den Bauch geschlungen
und mit Knüppeln umgesprungen
Pflock ins Fleisch und Tritt in Bauch und
aufgehängt in Schnee und rauch
Zahn und Zähne ausgeschlagen
Und das Gold nach Haus getragen.
Soweit wär er hergestellt nun
abgeschoben in die Welt nun
dass er seine Beine hebe!
dass er weiterlauf und lebe!
Rede vom Gedicht
Das Gedicht ist nicht der Ort, wo die Schönheit gepflegt wird.
Hier ist die Rede vom Salz, das brennt in den Wunden.
Hier ist die Rede vom Tod, von vergifteten Sprachen.
Von Vaterländern, die eisernen Schuhen gleichen.
Das Gedicht ist nicht der Ort, wo die Wahrheit verziert wird.
Hier ist die Rede vom Blut, das fließt aus den Wunden.
Vom Elend, vom Elend, vom Elend des Traums.
Von Verwüstung und Auswurf, von klapprigen Utopien.
Das Gedicht ist nicht der Ort, wo der Schmerz verheilt wird.
Hier ist die Rede von Zorn und Täuschung und Hunger
(die Stadien der Sättigung werden hier nicht besungen).
Hier ist die Rede von Fressen, Gefressenwerden
von Mühsal und Zweifel, hier ist die Chronik der Leiden.
Das Gedicht ist nicht der Ort, wo das Sterben begütigt
wo der Hunger gestillt, wo die Hoffnung verklärt wird.
Das Gedicht ist der Ort der zu Tode verwundeten Wahrheit.
Flügel! Flügel! Der Engel stürzt, die Federn
fliegen einzeln und blutig im Sturm der Geschichte!
Das Gedicht ist nicht der Ort, wo der Engel geschont wird.
An wen auch immer ich mich wende
Mein Kriegsherr, mein Friedefürst,
mein großer Bruder, mein Goldkind,
es spielt keine Rolle,
mein guter Stern, mein schlechter Stern,
es spielt keine Rolle,
du machst mir was vor.
An wen auch immer ich mich wende,
wenn mich der Stiefel drückt, der goldene Stiefel,
der schwarze Stiefel, es spielt keine Rolle,
dein Laden hat immer geschlossen,
dein Diener hat immer Ausgang,
dein Telefon ist immer besetzt.
Wann kriege ich dich dran, wann reichst du mir
den kleinen Finger, den kleinsten nur,
wann zeigst du dein Gesicht, dein schönes Gesicht,
dein häßliches Gesicht, es spielt keine Rolle,
dein Gesicht?
Du bist sicher, daß ich dir nachlaufe,
du bist sicher, daß es nicht ohne dich geht,
das kann sich ändern.
Was wird dann aus dir, mein Kriegsherr, ohne
meinen Ruin, von dem du dich nährst,
was fängst du dann an, mein Hofnarr,
es spielt keine Rolle,
mein großer Häuptling, mein Goldkind,
es spielt keine Rolle,
ohne mich?