RITTER, Roman



Das Bürofenster


Ich drehe mich am Schreibtisch um

und sehe durch das Fenster

ein paar Kastanienäste,

ein Stück Rasen mit Buschwerk

und den Stamm einer Linde.


Ich gehe zum Fenster

und sehe draußen die Linde,

die Äste leicht vom Wind bewegt,

den Rasen, der so grün ist,

dass man beinah lachen muss,

und die große Kastanie, durch deren Blätter

man in die Sonne sehen kann.

Dort drüben blüht ein Busch.


Ich öffne das Fenster und lehne mich hinaus,

spüre die Wärme und rieche den Flieder.


Auf diesen Rasen,

der sicher weich ist wie ein Fell,

könnte man sich in die Sonne legen,

lesen,

herumschmusen,

nichts tun,

essen,

Fußball spielen.


Der Chef sieht nicht gern,

wenn man am Fenster steht und hinausschaut.


Ich gehe zu meinem Schreibtisch zurück.


Wenn der Hausmeister die Hecke beschneidet

kann man von den herabgefallenen Zweigen

ein paar in die Vase stellen,

die auf dem Büroschrank steht.



Einen Fremden im Postamt umarmen


Wir fahren zurück.

Auf eine oder zwei Stunden kommt es nicht an.

Wir haben einen Kaffee getrunken in der Raststätte

Und ausgelassen Bierfilze von Tischrand hochgeschlagen

und in der Luft gefangen.

Nachher werden wir uns am Steuer ablösen.


Es ist Nacht, und es regnet leicht,

aber im Auto ist es warm.

Das Zischen des Fahrtwinds,

das beständige Orgeln der Reifen,

das Wiegen der Stoßdämpfer

macht müde, aber nicht schläfrig.


Ich fühle mich wie ein Tier in seinem Fell,

ein Tier in einer runden Höhle, in einem Fell,

durch das keine Nässe dringt und keine Angst.

An meiner Schulter lehnt ein Mädchen,

bewegungslos, in den Kurven

wird es leichter oder schwerer.

Für diese Zärtlichkeit

muß sich keine Hand rühren.


Die schnell vorbeifliegenden weißen Lichter

und die langsam vorbeiziehenden roten Leuten

das sind die andren. Sie gehören dazu,

mit dem üblichen Risikofaktor,

aber überschaubar und auf Distanz.


Es gibt nichts Verlässlicheres

als die weißen Streifen am Fahrbahnrand.

Was die Scheinwerfer einen Augenblick lang erfassen

Ist vergessen, bevor es hinter uns liegt.

Durch meine offenen Augen schaut einer,

der mir ähnlich ist, mit einem weiten und

unzerstörbaren Blick.

Der Mond bescheint die Wolken von hinten.

Ein stiller Schleier, hinter dem sich nichts verbirgt.


Ein Gefühl macht sich breit

wie die Wärme des Mädchens an meiner Seite,

schwebend, unbeirrbar, tonlos:

Ich möchte einmal in meinem Leben

mit einem Ballon still über Wälder und Wasserfälle fliegen.

Ich möchte einmal einen Fremden im Postamt Umarmen.

Ich möchte einmal ohne Angst an jeden Tag denken.


In zwei Stunden kommen wir an.

Im Zimmer wird der dumpfe Geruch hängen.

Haare mit Staubflocken werden am Boden liegen.

Aber noch sind wir unterwegs. Das Mädchen wird wieder spürbar.

Der Mond scheint von vorn. Der Fahrtwind rauscht.