RANKE, Leopold von



Vorrede zu Geschichten der romanischen und germanischen Völker


Gegenwärtiges Buch kam mir freilich, wie ich nur bekennen will, ehe es gedruckt ward, vollkommener vor, als nun, nachdem es gedruckt ist. Indessen rechne ich auf geneigte Leser, die weniger auf seine Mängel, als auf seine etwaigen Tugenden aufmerksam sind. Um es nicht ganz seiner eigenen Wirkung anzuvertrauen, will ich nicht versäumen, eine kurze Erläuterung über seine Absicht, seinen Stoff und seine Form vorauszuschicken.

Die Absicht eines Historikers hängt von seiner Ansicht ab; von dieser ist hier zweierlei zu sagen. Zuvörderst, daß ihr die romanischen und germanischen Nationen als eine Einheit erscheinen. Sie entschlägt sich drei analoger Begriffe: des Begriffes einer allgemeinen Christenheit (dieser würde selbst die Armenier umfassen); des Begriffes von der Einheit Europa's: denn da die Türken Asiaten sind, und da das russische Reich den ganzen Norden von Asien begreift, könnte ihre Lage nicht ohne ein Durchdringen und Hereinziehen der gesammten asiatischen Verhältnisse gründlich verstanden werden; endlich auch des analogsten, des Begriffes einer lateinischen Christenheit: slavische, lettische, magyarische Stämme, welche zu derselben gehören, haben eine eigenthümliche und besondere Natur, welche hier nicht inbegriffen wird. Der Autor bleibt, indem er das Fremde, nur wo es sein muß, als ein Untergeordnetes und im Vorübergehen berührt, in der Nähe bei den stammverwandten Nationen entweder rein germanischer oder germanisch-romanischer Abkunft, deren Geschichte der Kern aller neueren Geschichte ist, stehen. In der folgenden Einleitung soll versucht werden, hauptsächlich an dem Faden der äußeren Unternehmungen ins Licht zu setzen, inwiefern diese Völker sich in Einheit und gleichartiger Bewegung entwickelt haben. Das ist die eine Seite der Ansicht, auf welcher gegenwärtiges Buch beruht; nun die andere, die sich durch den Inhalt desselben unmittelbar ausspricht. Es umfaßt nur einen kleinen Theil der Geschichte dieser Nationen, den man wohl auch den Anfang der neueren nennen könnte; nur Geschichten, nicht die Geschichte; es begreift einerseits die Gründung der spanischen Monarchie, den Untergang der italienischen Freiheit, andererseits die Bildung einer zwiefachen Opposition, einer politischen durch die Franzosen, einer kirchlichen durch die Reformation, genug jene Spaltung unserer Nationen in zwei feindselige Theile, auf welcher alle neue Historie beruht. Es geht von dem Zeitpunkt aus, wo Italien in sich geeinigt wenigstens äußere Freiheit genoß und vielleicht selbst herrschend genannt werden darf, da es den Papst giebt; die Spaltung desselben, das Eindringen der Franzosen und der Spanier, den Untergang in einigen Staaten aller Freiheit, in anderen der Selbstbestimmung, endlich den Sieg der Spanier und den Anfang ihrer Herrschaft sucht es darzustellen. Ferner fängt es von der politischen Nichtigkeit der spanischen Königreiche an, und geht zu ihrer Vereinung, zu der Richtung der Vereinten wider die Ungläubigen und nach dem Innern der Christenheit fort; es sucht deutlich zu machen, wie aus jener die Entdeckung von Amerika und die Eroberung großer Königreiche daselbst, doch vor allem, wie aus dieser die spanische Herrschaft über Italien, Deutschland und die Niederlande hervorgegangen. Drittens geht es von der Zeit, wo Karl VIII. als ein Vorkämpfer der Christenheit wider die Türken auszieht, durch alles wechselnde Glück und Unglück der Franzosen bis zu der fort, wo Franz I. 41 Jahre später eben diese Türken wider den Kaiser zu Hülfe ruft. Indem es endlich den Gegensatz einer politischen Partei in Deutschland wider den Kaiser und einer kirchlichen in Europa wider den Papst in ihren Anfängen verfolgt, sucht es den Weg zu einer vollständigeren Einsicht in die Geschichte der großen Spaltung durch die Reformation zu bahnen..

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Friedrichs des Großen Denk- und Regierungsweise

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Wenn man die kleineren Gedichte Friedrichs liest, so sollte es dem Verfasser zuweilen bloß auf den Genuß des Lebens anzukommen scheinen. Die Anstrengung wird als ein Verlust der Freiheit betrachtet; man stößt auf Nachahmungen des Lucrez, deren Inhalt die Lehren Epikurs wiederholt. Wenn Friedrich in einer seiner Episteln die Lehre entwickelt, daß sich die Vorsehung um das Kleine nicht bekümmere, so darf man schwerlich behaupten, daß er sie in dem unverfänglichen Sinne von Malebranche verstanden habe. Daneben aber nimmt man allenthalben eine ernste, auf das wesentliche und echte in den Dingen des menschlichen Lebens vordringende Richtung wahr. Den Lockeschen Lehren gemäß erscheint der menschliche Geist nicht fähig, das Unendliche zu ergreifen, aber Friedrich schließt daraus nur, daß man sich auf dieses Gebiet nicht wagen, vielmehr hier auf Erden sich der Tugend widmen, das Gute von dem Bösen unterscheiden lernen müsse. Einen seiner Brüder macht er aufmerksam, daß Tugend und Talent keine Ahnen haben; wer einen Namen besitzen will, muß ihn verdienen. Wie beklagt er die deutschen Fürsten, die, wenn sie von einer Reise nach Frankreich zurückkommen, ihren Ehrgeiz darin suchen, Meudon und Versailles in kleinen Dimensionen zu Hause nachzuahmen. Von der Nichtigkeit des Hoflebens oder des Treibens in großen Städten war wohl niemals ein Mensch mehr durchdrungen als Friedrich. Er ist vollkommen zufrieden in seiner Einsamkeit, denn das einzige Glück sieht er in geistiger Beschäftigung; was die Natur gegeben, muß der Fleiß vollenden. Ruhmesliebe hatte ihn zum Kriege gespornt, aber er weiß, daß die Meinung der Menschen von den Umständen abhängt, hin und wieder schwankt, das Glänzende oft dem Gediegenen vorzieht. Aus allen den Zufälligkeiten, welche auf Lob und Tadel einwirken, zieht er die Lehre, daß man den Weihrauch verachten, die Tugend um ihrer selbst willen lieben müsse.

Er bekennt seiner Schwester [Fußnote] einmal, er habe eine zwiefache Philosophie: im Frieden und Glück schließe er sich den Schülern Epikurs an, im Unglück halte er sich an die Lehren der Stoa. Das heißt nur eben, daß er den Genuß durch Reflexion mäßigt oder entschuldigt und sich im Unglück durch moralischen Schwung erhebt; es ist nichts andres, als was ein Philosoph dieses Jahrhunderts sagt, [Fußnote] daß Neigung zum Wohlleben und zur Tugend im Kampfe miteinander, wo die erste durch die letzte eingeschränkt wird, das höchste moralisch-physische Gut hervorbringen. Nur tritt in den Gedichten, der vorwaltenden Stimmung gemäß, bald die eine, bald die andre Richtung alleinherrschend hervor.

Nicht alles, was von Poesie in ihm war, legte Friedrich in seine Gedichte. Wir kennen seine Meisterschaft auf der Flöte; auch hier war jede seiner Kompositionen ein Versuch, eine besondere Schwierigkeit zu überwinden; hauptsächlich aber seine Empfindungen, seine Freude und besonders seinen Schmerz, ein melancholisches Gefühl, das ihn sein ganzes Leben begleitete, drückte er in diesen Tönen aus. Seine Verse sind oft mehr lebendig angeregtes Raisonnement als Poesie; wie Voltaire sagt, nicht von echt französischem Kolorit, aber um so eigentümlicher im Ausdruck und voll Ideen eines weiten Horizontes.

Wie in den Gedichten, so beschäftigte sich Friedrich in seinen Briefen, seinen Gesprächen unaufhörlich mit den schwierigsten Fragen, die der Mensch sich vorlegen kann, über Freiheit und Notwendigkeit (die er für das schönste Thema der »göttlichen« Metaphysik erklärt), über Schicksal oder Vorsehung, Materialität oder Unsterblichkeit der Seele; auf die letzte kam er immer von neuem zurück. Wir kennen sein Schwanken zwischen der Annahme eines blinden Geschickes und einer allwaltenden Vorsehung, und wie er in den großen Entscheidungen auf die letzte zurückkam. [Fußnote] Meistenteils schien es ihm doch, daß alles ein nicht aufzulösendes Rätsel bleibe, wenn man nicht eine Vorsehung voraussetze, die das Weltgeschick zu einem großen Ziele leite. Nur in einem Punkte war er unerschütterlich: er fuhr auf, wenn jemand im Gespräche seinen Glauben an einen lebendigen Gott bezweifelte. Die populären Beweise für das Dasein Gottes, besonders den von der weisen Ordnung in der Natur hergenommenen, wiederholte er mit dem vollsten Ausdruck der Überzeugung: »Ich kenne Gott nicht, aber ich bete ihn an.«

Sein skeptisches Verhalten zu den meisten positiven Lehren gehörte ohne Zweifel dazu, um ihm die Politik möglich zu machen, die er in Beziehung auf die verschiedenen Bekenntnisse ergriffen hatte; er würde sonst mit sich selbst in Widerspruch geraten sein. Aber wie er schon im Gespräch abbricht, wenn er bemerkt, daß sein Mangel an Orthodoxie den andern verletzt, so hätte er im Leben noch viel weniger daran gedacht, seine Meinungsabweichungen auszubreiten, von denen er wohl fühlte, daß sie das Gemüt nicht befriedigen, einem Volke nicht genügen können. Er hielt es schon für ein Glück, daß man dieselben an ihm duldete. Für ihn reichte die Überzeugung hin, daß der Zweck der Welt in dem individuellen Glück liege; die wahre Philosophie bestehe nicht in den verwegenen Spekulationen, durch welche die Wissenschaft zu einer Kunst von Vermutungen gemacht, von den Sitten losgerissen werde, sondern in der Moral, welche die Heftigkeit der ersten Eindrücke zu mäßigen und zu zügeln fähig mache. Um glücklich zu sein, dazu gehöre sittlich leben, seinen Stand erkennen, sich der Mäßigung befleißigen, das Leben nicht zu hoch anschlagen. Friedrichs religiöses Gefühl erhob sich nicht über die ersten und einfachsten Elemente, dagegen sein moralisches Bewußtsein war von der lebendigsten Energie.

Eine der ersten Pflichten des Menschen, doppelt notwendig in seiner Stellung, sah er in der Selbstbeherrschung und arbeitete dafür unaufhörlich an sich. Er bekannte seinen Vertrauten, wenn er etwas Unangenehmes, Aufregendes erfahre, suche er nur durch Reflexion über die erste Bewegung Herr zu werden, die bei ihm unendlich lebhaft sei; zuweilen gelinge es, zuweilen auch nicht; dann aber begehe er Unvorsichtigkeiten und komme in den Fall, sich über sich selbst zu ärgern. Er bildet sich eine Politik des persönlichen Glückes aus, die darin bestehe, daß man die menschlichen Dinge nicht zu ernstlich nehme, sich mit dem Gegenwärtigen begnüge, ohne zuviel an die Zukunft zu denken. Wir müssen uns freuen über das Unglück, das uns nicht trifft; das Gute, was wir erleben, müssen wir genießen, der Hypochondrie und Trauer nicht erlauben, das Gefühl der Bitterkeit über unser Vergnügen zu gießen. »Ich habe den Rausch des Ehrgeizes überwunden; Irrtum, Arglist, Eitelkeit mag andre berücken; ich denke nur noch daran, mich der Tage, die der Himmel mir gegeben, zu erfreuen, Vergnügen zu genießen ohne Übermaß und soviel Gutes zu tun, als ich kann«. [Fußnote] Besonders dieser letzte Wunsch erfüllt seine Seele.

Unter allen Dichtern liebte er Racine am meisten, den er weit über Voltaire stellte, nicht allein der Harmonie und Musik seiner Sprache, sondern auch des Inhalts wegen. Auf seinen Reisen im Wagen las er ihn immer aufs neue und lernte ganze Stellen auswendig. Von allem aber, was dieser Dichter geschrieben hat, machte nichts größern Eindruck auf ihn als die Szene im vierten Akt des Britannicus, wo Burrus dem jungen Nero vorstellt, daß die Welt »das öffentliche Glück den Wohltaten des Fürsten« verdanken könne, daß ein solcher sich sagen dürfe, überall in diesem Augenblicke werde er gesegnet und geliebt! »Ah!« rief Friedrich aus, »gibt es etwas Pathetischeres und Erhabneres als diese Rede; ich lese sie nie ohne die größte Rührung.« Er muß das Buch weglegen, Tränen ersticken seine Stimme; »dieser Racine«, ruft er aus, »zerreißt mein Herz.« Eine Weichheit, die niemand in ihm suchen sollte, der nur seine Kriege und seine strenge Staatsführung kennt, und die doch mit dieser wieder in genauem Zusammenhange steht.

Es scheint ihm ein lächerlicher Stumpfsinn der Welt, daß man das Glück der Fürsten beneidet; sie seien schlecht bedient, ihre Befehle führe man mangelhaft aus und schreibe ihnen doch alles zu, was geschehe; man messe ihnen Absichten bei, an die ihre Seele nicht denke, und hasse sie, wenn sie schwere Dinge fordern; leicht werde die Welt ihrer müde. Wer sollte glauben, daß ihm noch in jungen Jahren, im Genusse des Ruhmes und der Welt, aus dem Innern seiner Seele die Idee einer Verzichtleistung aufstieg! Er dachte die Krone seinem Bruder zu überlassen, den er in dieser früheren Zeit ungemein hoch hielt. [Fußnote] Eins wäre ihm freilich unbequem gewesen, einen fremden Willen über sich zu fühlen, und er dachte sich Einrichtungen aus, wie dem vorzubeugen sei. Aber das Glück zu gebieten reizte ihn nicht, noch der Besitz großer Geldmittel; er würde, sagte er, mit 12 000, ja mit 1200 Talern leben können, er würde Freunde haben und ihr wahrer Freund sein, nur den Wissenschaften würde er sich widmen. Indem er dem nachsinnt und in dem Gedanken schwelgt, nichts zu sein als ein einfacher, aber ganz unabhängiger Gelehrter, sieht er doch, wenn er die Umstände und Persönlichkeiten überlegt, besonders in kritischen Augenblicken, wie deren soviele kamen, daß alles dies unmöglich ist. »Ich habe ein Volk«, ruft er aus, »das ich liebe; ich muß die Last tragen, welche auf mir liegt, ich muß an meiner Stelle bleiben.«

Was macht den Menschen, als der innere Antrieb und Schwung seines moralischen Selbst? Wir wollen nicht sagen, daß jene Stimmung die vorherrschende, daß Friedrich nicht von dem Gefühl des geborenen Königs fortwährend durchdrungen gewesen sei, aber er ging nicht darin auf. Die Reflexion, daß er es auch nicht sein könne, die Neigung selbst, einem andern Beruf zu leben, schärfte sein Pflichtgefühl für diesen, der ihm durch Geburtsrecht zuteil geworden. Wir mögen es nicht unerwähnt lassen, was er selber sagt, daß er oft lieber der Morgenruhe noch genossen hätte; aber sein Diener hatte den bestimmtesten Befehl, sie ihm nicht länger zu gönnen; der Grund, welchen Friedrich angibt, ist, daß die Geschäfte sonst leiden würden. Er bekennt einmal, es mache ihm größeres Vergnügen sich mit literarischen Arbeiten zu beschäftigen, als mit der Verwaltung der laufenden Geschäfte; aber er fügt hinzu, daß er darum diesen doch keinen Augenblick der Tätigkeit und Aufmerksamkeit entziehen würde, denn dazu sei er geboren, sie zu verwalten.

Ein Fürst, sagt er in dem politischen Testament, [Fußnote] der aus Schwäche oder um seines Vergnügens willen das edle Amt versäumt, das Wohl seines Volkes zu befördern, sei nicht allein auf dem Throne unnütz, er mache sich sogar eines Verbrechens schuldig. Denn nicht dazu sei der Fürst zu seinem hohen Rang erhoben und mit der höchsten Gewalt betraut, um sich von den Gütern des Volkes zu nähren und im Glück zu schwelgen, während die ganze Welt darbe. »Der Fürst ist der erste Diener des Staates und gut bezahlt, um die Würde seiner Stellung aufrechtzuerhalten; aber man verlangt von ihm, daß er nachdrücklich zum Wohl des Staates arbeite und daß er wenigstens die wichtigsten Dinge mit Ernst betreibe.« Die Frau, welche einem König von Evirus, der nicht auf ihre Klagen hören will, die Frage vorlegt, warum er denn König sei, wenn er ihr nicht Hilfe schaffen wolle, scheint ihm ganz recht zu haben.

Das Zurücktreten des religiösen Begriffes mußte in einer energischen Natur das Bewußtsein des weltlichen Berufs um so lebendiger hervorrufen. Die Seele ist dann nicht durch das Gefühl des universalen Zusammenhanges des Geistes gehoben, der auch dann noch genug tut, wenn die Erfolge den Absichten nicht entsprechen; es liegt etwas Trockenes, Beschränktes darin, aber um so geschärfter wird der praktische Sinn, da man des Erfolges bedarf. Der Geist der Zeit kam dem Könige Friedrich mit der gleichen Tendenz entgegen und förderte sein Tun. Auch in der Erfüllung der Pflicht an sich liegt eine unendliche Befriedigung

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