KASCHNITZ, Marie Luise



Beschreibung eines Dorfes

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von all dem werde ich erzählen und an den Rand des Blattes den Lauf der beide Hauptbäche zeichnen, Möhlin und Eckbach, die sich unterhalb des Dorfes vereinen. Ich werde sagen, dass diese Bäche und ihre Nebenbäche schon alles Wasser im Tal sind, kein See, kein Teich, und alle Meere weit, nämlich viele Hunderte von Kilometern weit entfernt. Binnenland, aber kein Trockenland, ozeanische Winde wie oft, von Frankreich her, die feuchten Westwinde zur Weinachtszeit

die schwefelgelben Sonnenuntergänge, die himbeerroten Sonnenuntergänge , ein Küstenland, aber am Himmel, unbegehbare Inseln, unbefahrene Buchten, graublau und rosig, eine andere gewaltige Landschaft, unter der die mit Händen zu greifende versinkt. Zwei Landschaften, und auch die irdische hat ihre Stunden, auch das greifbare Wasser

die heissen Mittagsstunden, wenn man durch den Wildwuchs der Böschung hinabtaucht und da hockt im kühlen Finstergrünen, wo der Bach funkelnd über die Steine springt

wo in tiefen Gumpen die alten Forel len stehen, die man als Kind mit den Händen ge griffen hat, mit denen man aber jetzt reglos eine stumme Zwiesprache hält

über die weiten Wege der Menschen, die weiten Wege der Fische, Gleitwege und Sprungwege, im Frühjahr zwischen schlaffstenge ligen Anemonen, fetten goldgelben Sumpfdotter blumen

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Eisbären

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Endlich, dachte sie, als sie hörte, wie sich der Schlüssel im Türschloss drehte. Sie hatte schon geschlafen und war erst von diesem Geräusch aufgewacht; nun wunderte sie sich, dass ihr Mann im Vorplatz kein Licht anmachte, das sie hätte sehen müssen, da die Tür zum Vorplatz halb offen Stand. Walther, sagte sie, und fürchtete einige Minuten lang, es sei gar nicht ihr Mann, der die Tür aufgeschlossen hatte, sondern ein Fremder, ein Einbrecher, der jetzt vorhatte, in der Wohnung herumzuschleichen und die Schränke und Schubladen zu durchsuchen. Sie überlegte, ob es wohl besser sei, wenn sie sich schlafend stellte, aber dann könnte ihr Mann heimkommen, während der Einbrecher noch in der Wohnung war, und dieser könnte aus dem Dunkeln auf ihn schießen. Darum beschloss sie, trotz ihrer großen Angst, Licht, zu machen und nachzusehen, wer da war. Aber gerade, als sie ihre Hand ausstreckte, um an der Kette der Nachttischlampe zu ziehen, hörte sie die Stimme ihres Mannes, der in der Türe stand. Mach kein Licht, sagte die Stimme.

Sie ließ ihre Hand sinken und richtete sich ein wenig im Bett auf. Ihr Mann sagte nichts mehr und rührte sich auch nicht, und sie fragte sich, ob er sich vielleicht auf den Stuhl neben der Türe gesetzt hatte, weil er zu erschöpft war, um ins Bett zu gehen.

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Lange Schatten

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Langweilig, alles langweilig, die Hotelhalle, der Speisesaal, der Strand, wo die Eltern in der Sonne liegen, einschlafen, den Mund offenstehen lassen, aufwachen, gähnen, ins Wasser gehen, eine Viertelstunde vormittags, eine Viertelstunde nachmittags, immer zusammen. Man sieht sie von hinten, Vater hat zu dünne Beine, Mutter zu dicke, mit Krampfadern, im Wasser werden sie dan munter und spritzen kindisch herum. Rosie geht niemals zusammen mit den Eltern schwimmen, sie muss während Essen auf die Schwestern achtgeben, die noch klein sind, aber nicht mer süss, sondern alberne Gänse, die einem das Buch voll Sand schütten oder eine Qualle auf den nackten Rücken legen. Eine familie zu haben ist entsetzlich, auch andere Leute leiden unter ihren Familien, Rosie sieht das ganz deutlich, zum Beispiel der braune Mann mit dem Goldkettchen, den sie den Schah nennt, statt bei den Seinen unterm Sonnenschirm hockt er an der Bar oder fährt mit dem Motorboot, wilde Schwünge, rasend schnell und immer allein.

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