VON MORUNGEN, Heinrich
Das Lied von der Schwalbe
Es ist die Art der Nachtigall
zu schweigen, wenn ihre Liebe sich zum Ende neigt. –
So folge ich jedoch der Schwalbe,
die weder in der Liebe noch im Leid ihr Singen lässt.
Da ich nun also singen muss,
kann ich mit vollem Recht behaupten:
O weh,
dass ich die ganze Zeit
so sehr gebeten habe und gefleht,
dort, wo ich niemals Erhörung finde!
O weh um meine beste Lebenszeit,
o weh um meine hellen, schönen Tage –
wie viele ich davon in ihrem Dienst verschwendet habe!
Es reut mich manche sehnsuchtsvolle Klage,
die sie von mir vernommen hat,
und die doch nie zu ihrem Herzen vorgedrungen ist.
O weh um meine ganz und gar verlornen Jahre, die tun mir schmerzlich leid –
ich will sie immerfort beklagen!
Übersetzung: Hans HEGNER
Ihr so süße und sanfte Mörderin...
Ihr so süße und sanfte Mörderin,
warum wollt Ihr mir das Leben nehmen,
obwohl ich Euch so von Herzen liebe,
fürwahr, Herrin, mehr als alle Frauen?
Meint Ihr, wenn Ihr mich tötet,
würde ich Euch nie mehr anschauen?
Nein, die Liebe zu Euch hat mich genötigt,
dass eure Seele die Herrin meiner Seele ist.
Soll mir auf Erden nichts Gutes geschehen
von eurem gepriesenen Leib,
so muss Euch meine Seele versprechen,
dass sie Eurer Seele im Himmel
als einer reinen Frau dienen wird.