WERFEL, Franz



Die vierzig Tage des Musa Dagh

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»Sie wollen ein neues Reich gründen, Exzellenz. Doch der Leichnam des armenischen Volkes wird unter seinen Grundmauern liegen. Kann das Segen bringen? Ließe sich nicht noch jetzt ein friedlicher Weg finden?«

Hier entblößt Enver Pascha zum ersten Mal die tiefere Wahrheit. Er lächelt nicht mehr zurückhaltend, seine Augen werden starr und kalt, die Lippen weichen von einem großen, gefährlichen Gebiss: »Zwischen dem Menschen und dem Pestbazillus«, sagt er, »gibt es keinen Frieden.« [...]

»Exzellenz« – er presst die Hand auf seine schöne Stirn –, »ich werde jetzt keine Selbstverständlichkeiten sagen, nicht, dass man für die Umtriebe einzelner ein ganzes Volk nicht büßen lassen darf, ich werde nicht fragen, warum Frauen und Kinder, kleine Kinder, wie Sie ja auch einmal eines waren, wegen einer Politik, von der sie nie etwas gehört haben, den bestialischsten Tod erleiden müssen. Ich will Ihren Blick auf Ihre und Ihres eigenen Volkes Zukunft lenken, Exzellenz! Auch dieser Krieg geht einmal zu Ende, und dann steht die Türkei vor der Notwendigkeit, Friedensverhandlungen zu führen. Möge dieser Tag für uns alle ein glücklicher Tag sein. Wenn er aber ein unglücklicher Tag ist, was dann, Exzellenz? Muss der verantwortliche Führer eines Volkes nicht auch für den Fall eines ungünstigen Kriegsendes Vorsorge treffen?« [...]

Enver Pascha bekommt träumerische Augen und sagt ohne Spott: »Ich danke Ihnen für diesen ausgezeichneten Hinweis. Aber wer sich in die Politik einlässt, muss zwei Eigenschaften besitzen. Erstens einen gewissen Leichtsinn oder, wenn Sie wollen, Todesverachtung, was ja dasselbe ist, und zweitens den unerschütterlichen Glauben an seine Entschlüsse, wenn sie einmal gefasst sind.«

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Spiegelmensch
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Mönch (sehr feierlich) :

Nun bist du aus des zweiten Lebens Nacht Zur Schau der Morgen-Wirklichkeit erwacht. Denn hinter dir versank die Spiegelwelt, Die uns die Fratze gegenüberstellt Der eigenen Person in jedem Wesen, Die Welt, in der die Wenigsten genesen. - Wir alle gingen durch, doch was wir sahn War nicht, was wir zu sehn, zu lieben meinten. Denn jedes Wesen ward zu unserm Wahn, Wir blieben heil, doch jene Opfer weinten. (Pause) Wir waren einst, wir alle, solche Toren, Und haben hier in einer alten Nacht Das falsche Ich befreit, das wahre umgebracht, Und schließlich unser Spiegelbild verloren. Nun bist auch du zum zweitenmal geboren! Neu spannt dein Lebensnerv sich und befreit Von dumpfer Ehrsucht, wüstem Widerstreit. Du tauchst aus Tod, aus ungewissen Leiden, Aus allem auf, was feig und halb und vag, - Und lernst mit freien Blicken unterscheiden Die kranke Dämmerung vom reinen Tag!

Thamal (in die kaleidoskopisch immer neu durcheinander wandelnde Landschaft)

Ich sehe - Ich sehe - Ich sehe! -

Abt (tritt Zu ihm)

Der jüngste bist du der Wiedergeburt: Drum nimm hier des Amtes goldenen Gurt! Trüb taucht dir das Haupt von menschlichen Stunden, So bist du zumeist noch der Maja verbunden. Erst musst du in Sorgen, Umsichten und Pflichten Die Seele auf selbstlose Ziele richten, Dann magst du versuchen die felsigen Stufen Der Liebe zu steigen, die her dich berufen, Um endlich die letzte Vollendung zu finden Im süßen Erlöschen und Ausdirverschwinden. (stark) Nimm denn!

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