RUPPEL, Lars
Alter Schwede
Im Wald fiel Schnee auf kaltes Holz,
der tagsüber ein wenig schmolz
und nachts gefror zu langen Zapfen.
Bis auf das schwere Schneeschuhstapfen
des durch die Schneeschicht gehenden Schweden
war es still im Wald, der jeden
Schritt, der seine Stille störte,
durch tausend dunkle Ohren hörte
und tausend dunkle Augen sahen
einen alten Schweden nahen und vorübergehen.
Er trug bei sich, gut geschliffen,
der Griff vom Greifen abgegriffen,
eine Axt, eine von jenen
Exemplaren, die in Schweden
die grade 13 Jahre alten
Knaben schon vom Staat erhalten.
Und durch den Widerstand des tiefen
Neuschnees der Polarnacht liefen
ein alter Schwede, seine Axt
und währenddessen starb ein Lachs.
Und Schnee fiel aus dem Firmament
auf einen Weg, den der nur kennt,
der ihn zu allererst gegangen.
Der Schwede und die Axt gelangen
schließlich an den Rande einer
Lichtung, auf der sich ein kleiner
Obelisk aus Stein befand.
Und vor dem Obelisken stand,
verziert mit Runen und Propans,
ein Schrein, aus dem der Lichterglanz
von Kerzen, wie schon jahrelang,
die Dunkelheit der Nacht bezwang.
Der Schwede trat zum Schrein heran,
setzte sich davor und dann
zog er sich in aller Ruhe
zuerst die schneeverklebten Schuhe
und dann den Rest der Schwedentracht
aus und stand nun in der Nacht,
so wie – wer ihn schuf
und hob die Axt hoch wie zum Gotteslob
und murmelte auf Schwedisch jenen
Zauberspruch des alten Schweden,
so wie sicher tausendmal
zuvor bei diesem Ritual.
Nach den ersten Versen stand
der Opa aus dem Schwedenland
auf und tanzte wild im Kreise,
wobei er weiterhin ganz leise
und wie von Sinnen Formeln sprach,
um mit der letzten Silbe nach
Norden hin sich zu verneigen,
sich dem Nordstern nackt zu zeigen,
der Götter Augenlicht zu blenden,
mit unrasierten Männerlenden
und einer Axt in seinen Händen
die Zeremonie zu beenden.
Da schwang der mystisch aufgegeilte
Schwede seine Axt und teilte
geradewegs die erste Fichte,
die er vor die Klinge krichte.
Des Schweden Schläge jäh durchdringen
den stolzen Laib aus Jahresringen,
bissen sich durch die Geschichte,
machten Ring für Ring zunichte,
hackten Kleinholz und entzweiten
zu Holz erstarrte, alte Zeiten
als goss aus einem Holzgewitter
ein Wirbelsturm aus Regensplittern
und als der Fichtenstamm hernach
mit lautem Krach zu Boden brach,
schlug der Schwede weiter auf
den ausgeknockten Baumstamm drauf.
Schwere Schwedenschläge bebten,
Sägespäneschwaden schwebten.
Und als der letzte Schlag verklungen,
warn auch die Schwaden ganz verschwunden.
Und da stand allein im Wald
ein Schwede – müde, nackt und alt.
Und dort, wo eben noch so stolz
die Fichte stand, stand nun aus Holz,
formvollendet, praktisch ein
Musterbeispiel für Design,
das schönste Ende einer Fichte,
ein Meilenstein der Schnitzgeschichte,
ein Werk von Schwedenaxt und -hand
und altem Schwedensachverstand,
so ästhetisch, so genial –
ein Regal.
Ein Möbelstück, wie es der Schwede
seit vielen Jahren so wie jede
Nacht zu sich nach hause trug
und dort mit seiner Axt zerschlug,
denn niemand soll die Tradition,
die seines Vaters Vater schon
an seinen Sohne, als er starb,
mit letztem Atem weitergab,
kennen! Jenen Bund der Schweden,
die nur mit einer Axt aus jedem
Baum ein Möbel bauen können
und die sich selbst IKEA nennen.
Eines nachts jedoch geschah,
als grad alles so wie immer war,
etwas Unvorhersehbares.
Neblig, kalt und finster war es,
als der alte Schwede schwitzend,
nackt an einem Tischchen schnitzend,
eine Fee im Wald entdeckte,
die sich dort vor ihm versteckte.
Ertappt schlich sie zum alten Schweden,
um diesen dann zu überreden,
ihr eine Schrankwand zu kreieren,
sie würde grade renovieren.
Dafür hätt‘ er dann auch drei
Wünsche als Belohnung frei.
Doch der alte Schwede blieb
hart, was sie zur Weißglut trieb.
Immer lauter wurd‘ die Fee,
erhöhte erst sein Wunschbudget,
warf sich dann mit aller Kraft
auf den Schweden, der den Schaft
der Axt der Fee entgegenschlug,
die im vollen Feenflug
mit dem Kopf dagegenprallte
und unsanft auf den Boden knallte.
Und wie sie nach dem schweren Schlag
im Sterben vor dem Schweden lag,
hat die Fee es grad geschafft,
bevor sie ward dahingerafft,
im letzten Atemzug den Schweden
mit einem Fluch noch zu belegen:
„So soll’n sein Wirken und sein Tun
und alle seine Möbel nun
sein von niedrer Qualität
und geringer Stabilität,
soll’n beim Anblick schon erzittern,
beim Zusammenbauen splittern,
dass sich sogar die stärksten Mannen
den Inbus in die Beine rammen,
die Bauanleitungen für Thorben,
Sally, Billy, Smörr und Jorben
und wie immer sie auch heißen
in blanker Hysterie zerreißen,
den Nutzer beim Benutzen quälen
und immer sollen Schrauben fehlen!
Es soll das Holz in seinen Händen
zu aus geschützten Waldbeständen
gepressten Sperrholzplatten werden
und Lack soll dieses Leid verbergen!
Alle Schubladen sollen klemmen,
die Märkte soll’n sie überschwemmen,
dass das Elend die vier Wände
der armen Kunden weltweit schände,
die beim Kaufen und ermessen
Köttbullar und Hotdogs fressen!“
Und erlag dann ihren Wunden.
Der Fluch ward an die Welt gebunden
und er wirkt heute noch immer,
wirkt in jedem Kinderzimmer.
Kein Ort bleibt vor ihm verschont,
ob man dort lebt oder dort wohnt.
Jedes Stück aus dem blau-gelben
Katalog wird noch im selben
dunklen Wald am Arsch der Welt
vom alten Schweden hergestellt.
Und auch jetzt grad hebt er die Axt
–
und irgendwo stirbt noch ein Lachs.
Im Wald fiel Schnee auf kaltes Holz,
der tagsüber ein wenig schmolz