FREYTAG, Gustav
Die Beschwörung
Es zog ein Dichterknabe hinaus zu dem dunklen Hain,
Beschrieb mit Zeichen und Kreisen den Boden im Mondenschein,
Er las aus schwarzem Buche geheimen Geisterbann,
Und rief mit flehender Stimme hinein in den stillen Tann.
Herauf ihr alten Sänger, herauf aus eurer Nacht!
Stärkt meine leisen Lieder durch eurer Töne Macht.
Herauf ihr Meister alle der Klänge von Lieb' und Streit,
Der Knabe ruft euch weinend, ach stillt mein tiefes Leid!
Lehrt meine Saiten erklingen wie Töne der Männerschlacht,
Und lehrt die Weisen, denen das Auge der Herrin lacht.
Ach lehrt das starke Werben um Liebeslust und Leid,
Und lehrt das selige Sterben im blanken Eisenkleid.
Doch Stille war um den saubrer, das trübe Mondenlicht
Fiel durch die Wolkenaugen ihm spöttisch ins Gesicht,
Die Bäume standen in Schweigen, es schwieg das weite Feld,
Nur in dem Buche summt' es, wie Sang aus andrer Welt:
Was ruft in die Tiefe der Zeiten, du Thor, dein toller Mund?
Wie jene dereinst gesungen, wird nimmer, nimmer kund.
Was ihnen durch's Herz gezogen, das haben sie offenbart,
Das kann zu allen Zeiten ein Jeder in seiner Art.
Denn Jedem schläft im Innern sein eigenes', gutes Lied,
Und Jeder nach dem Fremden umsonst die Kreise zieht.
Nur was in dir selbst erklungen, giebt reinen, vollen Ton,
Und kannst du den nicht wecken, so schweige, Dichtersohn.