STRITTMATTER, Eva



Sprachlos


Erst kennt man sich mit den Worten nicht aus

Und später nicht mehr mit dem Leben.

Noch immer ist es das selbe Haus.

Doch nun sieht man den Abgrund daneben.


Also wie sich halten? Von Tag zu Tag

Seine Pflicht tun. Doch was ist die Pflicht?

Wir sind nicht mehr sicher. Wir urteilen zag.

Und was kommt, das wissen wir nicht.


Von Altersweisheit keine Spur.

Der Sinn ist nicht zu verstehen.

Eine kleine Güte. Ein Lächeln nur.

Und einfach weitergehen.


Werte


Die guten Dinge des Lebens

Sind alle kostenlos:

Die Luft, das Wasser, die Liebe.

Wie machen wir das bloß,

Das Leben für zu teuer zu halten,

Wenn die Hauptsachen kostenlos sind?

Das kommt vom zu frühen Erkalten.

Wir genossen nur damals als Kind

Die Luft nach ihrem Werte

Und Wasser als Lebensgewinn,

Und die Liebe, die unbegehrte,

Nahmen wir herzleicht hin.

Nur selten noch atmen wir richtig

Und atmen Zeit mit ein,

Wir leben eilig und wichtig

Und trinken statt Wasser Wein.

Und aus der Liebe machen

Wir eine Pflicht und Last.


Und das Leben kommt dem zu teuer,

Der es zu billig auffaßt.


Vor einem Winter


Ich mach ein Lied aus Stille

Und aus Septemberlicht.

Das Schweigen einer Grille

Geht ein in mein Gedicht.


Der See und die Libelle.

Das Vogelbeerenrot.

Die Arbeit einer Quelle.

Der Herbstgeruch von Brot.


Der Bäume Tod und Träne.

Der schwarze Rabenschrei.

Der Orgelflug der Schwäne.

Was es auch immer sei,


Das über uns die Räume

Aufreißt und riesig macht

Und fällt in unsre Träume

In einer finstren Nacht.


Ich mach ein Lied aus Stille.

Ich mach ein Lied aus Licht.

So geh ich in den Winter.

Und so vergeh ich nicht.


Angst


Die Amsel macht mich traurig,

Die Kirschen wollen blühn.

Ich fürchte, du könntest mir sterben

Und alles würde doch grün.


Vielleicht ist es auch mein Tod,

der mich schon traurig macht.

Die Amsel kann ich nicht fragen,

Wer hilft mir heute Nacht?

…..


Bitte


Lasst mir das Silberfingerkraut.

Lasst mir den Hasenklee.

Lasst mir den kleinen Lerchenlaut.

Lasst mir den Liliensee.

Lasst mir den Sandweg durch die Heide.

Die Kiefer und den Birkenbaum.

Braucht ihr nicht manches Mal auch beide,

die Weltstadt und den Weltenraum?



Liebe


Wie furchtbar auch die Flamme war,

In der man einst zusammenbrannte,

Am Ende bleibt ein wenig Glut.

Auch uns geschieht das Altbekannte.


Daß es nicht Asche ist, die letzte Spur von Feuer,

Zeigt unser Tagwerk. Und wie teuer

Die kleine Wärme ist, hab ich erfahren

In diesem schlimmsten Jahr

Von allen meinen Jahren.

Wenn wieder so ein Winter wird

Und auf mich so ein Schnee fällt,

Rettet nur diese Wärme mich

Vom Tod. Was hält

Mich sonst? Von unserer Liebe bleibt: daß

Wir uns hatten. Kein Gras

Wird auf uns sein, kein Stein,

Solange diese Glut glimmt.


Solange Glut ist,

Kann auch Feuer sein ..