PERUTZ, Leo



Nachts unter der steinernen Brücke

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Wenn der Abendwind über den Wellen des Flusses dahinglitt, schmiegte sich die Blüte des Rosmarins enger an die rote Rose, und der träumende Kaiser fühlte an seinen Lippen den Kuß der Traumgeliebten. „Du bist spät gekommen“, flüsterte sie. „Ich lag und wartete. So lange hast du mich warten lassen.“ „Ich war immer da“, gab er zur Antwort. „Ich lag und blickte durch das Fenster in die Nacht hinaus, ich sah die Wolken ziehen und hörte das Rauschen der Baumkronen. Müde war ich von der Last und dem Lärm des Tages, ich meinte, die Augen müssten mir zufallen, so müde war ich. Dann endlich kamst du.“ „Kam ich? Und bin ich bei dir?“ fragte sie. „Aber wie kam ich zu dir? Ich kenn’ den Weg nicht, bin ihn nie gegangen. Wer hat mich zu dir gebracht? Wer bringt mich Nacht für Nacht zu dir?“ „Du bist bei mir und ich halte dich in meinen Armen, mehr weiß ich nicht“, sagte der Kaiser.

„So ging ich wohl“, flüsterte sie, „durch die Gassen meiner selbst nicht bewusst, stieg die Treppen hinauf, und die Leute, denen ich begegnete, sahen mich verwundert an, aber keiner trat mir in den Weg, keiner hielt mich an. Das Tor sprang auf, Türen öffneten sich, und nun bin ich bei dir. Es ist nicht recht, ich sollt’s nicht tun. Hörst du den Fluss rauschen?“

„Ja, ich höre ihn. Des Nachts, wenn du bei mir bist, rauscht er stärker als sonst, er ist, als wollt’ er uns in Schlaf singen. Als du ihn zum erstenmal rauschen hörtest, da weintest du vor Angst. Du weintest und riefst: „Was ist mit mir geschehen? Wo bin ich?“ „Ich hatte Angst. Ich erkannte dich und konnt’ es nicht begreifen, dass ich bei dir war“ sagte sie. „Als ich dich zum erstenmal sah, da rittest du auf einem milchweißen Zelter und hinter dir ritt ein Zug von Geharnischten, da war ein Blitzen und Schimmern, die Hufe dröhnten und die Trompeten jauchzten, und ich lief nach Hause und rief: „Ich hab’ des Kaisers Herrlichkeit gesehen – und ich glaubte das Herz müßt’ mir stille stehen.“

„Als ich dich sah zum erstenmal“, sprach der Kaiser, „da standest du an eines Hauses Wand geschmiegt, die Schultern ein wenig in die Höh’ gezogen, als wolltest du fliehen oder dich verbergen, scheu und ängstlich wie ein Vögelchen, so standest du, und die braunen Locken fielen dir in die Stirne. Ich sah dich an und wußte, dass ich dich nicht würde vergessen können, dass ich an dich würd’ denken müssen Tag und Nacht. Doch je näher ich dir kam, desto ferner erschienst du mir, von Augenblick zu Augenblick rücktest du weiter von mir fort, so unerreichbar wurdest du mir, als wärest du für alle Zeiten für mich verloren. Und als du dann kamst und bei mir warst und ich dich hielt, da war es wie ein Wunder oder wie ein Traum. Mein Herz war voll Glückseligkeit, und du weintest.“

„Ich weinte und ich möcht’ auch heute weinen. Wo sind wir und was ist mit uns geschehen?“

„Wie du duftest!“ sagte der Kaiser. „Wie eine zarte, kleine Blume, deren Namen ich nicht kenne, so duftest du.“

„Und du“, flüsterte sie, „wenn ich mit dir bin, dann ist es mir, als ginge ich durch einen Rosengarten.“

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