KLABUND
Regen
Der Regen rinnt schon tausend Jahr,
Die Häuser sind voll Wasserspinnen,
Seekrebse nisten mir im Haar
Und Austern auf des Domes Zinnen.
Der Pfaff hier wurde eine Qualle,
Seepferdchen meine Nachbarin.
Der blonde Seestern streckt mir alle
Fünfhundert Fühler zärtlich hin.
Es ist so dunkel, kalt und feucht.
Das Wasser hat uns schon begraben.
Gib deinen warmen Mund - mich deucht,
Nichts bleibt uns als uns lieb zu haben.
Nachts
Ich bin erwacht in weißer Nacht,
Der weiße Mond, der weiße Schnee,
Und habe sacht an dich gedacht,
Du Höllenkind, du Himmelsfee.
In welchem Traum, in welchem Raum,
Schwebst du wohl jetzt, du Herzliche,
Und führst im Zaum am Erdensaum
Die Seele, ach, die schmerzliche –
Ich baumle mit de Beene
Meine Mutter liegt im Bette,
Denn sie kriegt das dritte Kind;
Meine Schwester geht zur Mette,
Weil wir so katholisch sind.
Manchmal troppt mir eine Träne
Und im Herzen pupperts schwer;
Und ich baumle mit de Beene,
Mit de Beene vor mich her.
Neulich kommt ein Herr gegangen
Mit ’nem violetten Schal,
Und er hat sich eingehangen,
Und es ging nach Jeschkenthal!
Sonntag war’s. Er grinste: „Kleene,
Wa, dein Port’menée ist leer?“
Und ich baumle mit de Beene,
Mit de Beene vor mich her.
Vater sitzt zum ’zigsten Male,
Wegen „Hm“ in Plötzensee,
Und sein Schatz, der schimpft sich Male,
Und der Mutter tut’s so weh!
Ja, so gut wie er hat’s keener,
Fressen kriegt er und noch mehr,
Und er baumelt mit de Beene,
Mit de Beene vor sich her.
Manchmal in den Vollmondnächten
Is mir gar so wunderlich:
Ob sie meinen Emil brächten,
Weil er auf dem Striche strich!
Früh um dreie krähten Hähne,
Und ein Galgen ragt, und er . . .
Und er baumelt mit de Beene,
Mit de Beene vor sich her.
Ich habe ja ein Kind
Ich habe ja ein Kind,
Nun kann ich nicht mehr sterben,
Wenn meine Augen tot und blind,
Dann hab‘ ich einen Erben.
Alle meine Träume flattern
In meines Kindes Augen wieder mit blauen Flügeln auf,
Schießen zwitschernd um seines jungen Turmes sonnegoldnen Knauf,
Wenn dumpf schon ferne die Gewitter rattern.
Du wirst mich ganz erfüllen,
Und meine Unruh stillen,
Mein Kind… du überwindest mein Martyrium.
Wenn ich begraben werde,
Wirf du die erste Handvoll Erde
Auf meinen Sarg – und dreh dich lachend um.
Geh hin zum neuen Leben,
Mehr kann ich dir nicht geben,
Als was ich war… und ich war ich.
Mein Blut soll in dir singen,
In meine Tiefe dringen,
Wenn längst sich Wurm auf Wurm in meinen Schädel schlich.
Liebeslied 1
Dein Mund, der schön geschweifte,
Dein Lächeln, das mich streifte,
Dein Blick, der mich umarmte,
Dein Schoß, der mich erwarmte,
Dein Arm, der mich umschlungen,
Dein Wort, das mich umsungen,
Dein Haar, darein ich tauchte,
Dein Atem, der mich hauchte,
Dein Herz, das wilde Fohlen,
Die Seele unverhohlen,
Die Füße, welche liefen,
Als meine Lippen riefen –:
Gehört wohl mir, ist alles meins,
Wüßt nicht, was mir das liebste wär,
Und gab nicht Höll noch Himmel her:
Eines und alles, all und eins.
Liebeslied 2
Hui über drei Oktaven
Glissando unsre Lust.
Lass mich noch einmal schlafen
An deiner Brust.
Fern schleicht der Morgen sachte,
Kein Hahn, kein Köter kläfft.
Du brauchst doch erst um achte
Ins Geschäft.
Lass die Matratze knarren!
Nach hinten schläft der Wirt.
Wie deine Augen starren!
Dein Atem girrt!
Um deine Stirn der Morgen
Flicht einen bleichen Kranz.
Du ruhst in ihm geborgen
Als eine Heilige und Jungfrau ganz.
Die letzte Kornblume
Sie ging, den Weg zu kürzen, übers Feld.
Es war gemäht. Die Ähren eingefahren.
Die braunen Stoppeln stachen in die Luft,
Als hätte sich der Erdgott schlecht rasiert.
Sie ging und ging. Und plötzlich traf sie
Auf die letzte blaue Blume dieses Sommers.
Sie sah die Blume an. Die Blume sie. Und beide dachten
(Sofern die Menschen denken können, dachte die Blume...)
Dachten ganz das gleiche:
Du bist die letzte Blüte dieses Sommers,
Du blühst, von lauter totem Gras umgeben.
Dich hat der Sensenmann verschont,
Damit ein letzter lauer Blütenduft
Über die abgestorbene Erde wehe —
Sie bückte sich. Und brach die blaue Blume.
Sie rupfte alle Blütenblätter einzeln:
Er liebt mich – liebt mich nicht – er liebt mich... nicht. —
Die blauen Blütenfetzen flatterten
Wie Himmelsfetzen über braune Stoppeln.
Ihr Auge glänzte feucht – vom Abendtau,
Der kühl und silbern auf die Felder fiel
Wie aus des Mondes Silberhorn geschüttet.
Gott hat uns leicht und schwer gemacht
Gott hat uns leicht und schwer gemacht.
Du hast geweint. Ich hab gelacht.
Du hast gelacht. Ich hab geweint.
So Sonn und Mond am Himmel scheint.
Hingen Wang an Wangen,
hingen Blick an Blick.
Viele Frauen sind mit mir gegangen,
und nur eine sah zurück.
Viele haben schön bei mir geschlafen,
und nur eine ist erwacht.
Mein zerzaustes Segel fand den Hafen,
und mein Tag fand seine Nacht.
Was ich dir hier singe
Was ich dir hier singe,
Ist nur für dich gemacht.
Die violette Syringe,
Der Mond und das Ding der der Dinge
Ist nur für dich gemacht.
Die heimliche Lust der Lüste
Ist nur für dich gemacht,
O gib mir deine Brüste.
Ebbe und Flut unsrer Küste
Sind nur für dich gemacht.
Das breite Bett, ich dächte
Es ist für dich gemacht.
Komm, löse deine Flechte,
Denn diese Nacht der Nächte,
Sie ist für uns gemacht.
Es hat ein Gott
Es hat ein Gott mich ausgekotzt,
Nun lieg ich da, ein Haufen Dreck,
Und komm und komme nicht vom Fleck.
Doch hat er es noch gut gemeint,
Er warf mich auf ein Wiesenland,
Mit Blumen selig bunt bespannt.
Ich bin ja noch so tatenjung.
Ihr Blumen sagt, ach, liebt ihr mich?
Gedeiht ihr nicht so reich durch mich?
Ich bin der Dung! Ich bin der Dung![
XVIII
Nie wieder wird ein Sommer sein wie dieser,
Den wir gemeinsam Hand in Hand durchschritten.
Kein leises Leid und keinen Streit erlitten
Wir im Genuß des Glückes. Immer süßer
Erweckte uns der Tag noch ganz inmitten
Der Luft der Nacht. Als heitre Liebesbüßer
Bestiegen wir den Berg, des Frührots Grüßer
Und sind wie Vögel durch die Luft geglitten.
Nie schien so jung der graue Greis von siebzig,
Nie haben junge Herzen so gebebt,
Nie hat die Sonne so in Glanz zerstiebt sich,
Nie sind so Kinder durch den Tag geschwebt,
Nie haben je die Menschen so geliebt sich,
Nie ward das liebe Leben so gelebt.