TÖRNE, Volker von
Frei wie ein Vogel
Ein Dichter bin ich, und ich schreibe
Mir die Dunkelheit vom Leibe
Damit ihr nicht, wie den von Kleist
Mich nackt in eine Grube schmeisst
Bevor aus deutscher Finsternis
Ich mit ein Stückchen Leben riss.
Ich grüss, getrost auf Messers Schneide
Herrn Walter von der Vogelweide
Der auch in diesem Vaterland
Erst unterm Rasen Ruhe fand
In Würzburg, wo ein Knecht hernach
Des Riemenschneiders Hände brach
Ja. Hochverrat und Hirngespinste
Nennt dieses Volk die Schönen Künste
So zog in eines Feuers Rauch
Von dannen Quirin Kuhlmann auch
Ach! Endlos ist die Litanei
Des Leids im Lande Vogelfrei
O Land der Träumer und der Toten
Die dem Tod die Stirn geboten
Und mussten doch ins Dunkel fliehn
Wie jener Friedrich Hölderlin
Der, dass er unter Deutsche kam
Sich zu sehr zu Herzen nahm
Wie in Paris einst Heinrich Heine
So lieg ich schlaflos nachts und weine
O Volk, dass sich bei Marschmusik
Dreht um den Hals den eignen Strick
Du hast die Freitsmelodien
Deinen Dichtern nie verziehn
O Volk der treue Untertanen
Mit Hakenkreuz und Abgasfahnen
Im Land, das mir einst Heimat war
Mit Apfelbäumen, Mädchenhaar
Das meinen Mund mit Schweigen schlägt
Und das mir das Herz bewegt
Auf dem Boden des Grundgesetzes
Mein Vater ist vor Leningrad erfroren.
Als er im Schneesturm lag, hats ihn entsetzt.
Ich schütz vorm Ostwind meine Ohren.
Ich bin es nicht, der hier zum Aufruhr hetzt.
Ich bin in diese Zeit verschlagen,
noch nicht verkauft, doch schon geschätzt.
Ich tue, was die Herrn mir sagen.
Ich bin es nicht, der hier zum Aufruhr hetzt.
Man sagt mir: Leben oder leben lassen!
Wenn man den Fuß auf meinen Nacken setzt,
geb ich mir Müh, mich anzupassen.
Ich bin es nicht, der hier zum Aufruhr hetzt.
Ich habe Kalk geschleppt und Kies gefahren,
ich habe Stein auf Stein gesetzt.
Ich hab kein Haus: ich konnt mir keins ersparen.
Ich bin es nicht, der hier zum Aufruhr hetzt.
Am Abend füllt uns meine Frau den Teller:
zuerst den Kindern und sich selbst zuletzt.
Ich lese die Zeitung und ich esse schneller.
Ich bin es nicht, der hier zum Aufruhr hetzt.
Durch meine Träume rasselt nachts der Schinderkarren.
Den Henker seh ich, der sein Fallbeil wetzt.
Die Krähen hör ich an den Himmeln schnarren.
Ich bin es nicht, der hier zum Aufruhr hetzt.
Ich frag mich oft, warum ich hier noch bleibe.
Noch ist kein Preis auf meinen Kopf gesetzt.
Noch halt ich mir die Polizei vom Leibe.
Ich bin es nicht, der hier zum Aufruhr hetzt.
Gedanken im Mai
Ich rede von mir: Volker von Törne, geboren
Im vierunddreißigsten Jahr des zwanzigsten Jahrhunderts
Als meine Genossen schon kämpften gegen die Mörder
Die mich aufzogen als ihresgleichen
Nach ihrem Bilde:
Und ich trank die Milch
Die dem Hungernden fehlte. Und ich trug das Kleid
Meinem Bruder geraubt. Und ich las die Bücher
Die den Raub billigten. Und ich hörte die Reden
Die aufriefen zum Mord:
Und ich nannte den Schlachthof
Mein Vaterland, als schon die Völker aufstanden
Gegen mein Volk. Und ich betete für den Endsieg
Der Mörder, als schon die Städte
Aufgingen in Rauch:
Und schuldig war ich
Am Tod jedes Menschen, ahnungslos atmend
Unter den Galgenästen
Süßduftender Linden
Antwort
Was mich betrifft: Ich weiß es besser
(und weiß doch auch nicht ein und aus).
Ich weiß: Die Dummheit liefert uns ans Messer
und setzt uns einen roten Hahn aufs Haus.
Du klagst, als wären es Naturgewalten,
was uns da brüllend in die Messer treibt,
als gäbs nicht Herrn, die Finsternis verwalten,
damit es dunkel in den Köpfen bleibt.
Wir sind mit Dummheit bitterbös in Fühlung
(und kaufen schließlich, wenn wir leisetreten,
die Sintflut ein als komfortable Wasserspülung).
Es nützt dir nicht, die Dummheit zu verachten.
Statt ihm die Läuse aus dem Pelz zu jäten,
lad ich dich ein, den Leviathan zu schlachten!
Peinliche Selbstbefragung
Ich habe manch Wald von Blättern leergefegt
Hab all die wilden Blumen gepflegt und gehegt
Hab an manchen Versstamm arg rumgesägt
Mich mit den dümmsten Kuckucken angelegt
Dann packte es mich am ganzen Leib
Bin Kind nicht Mann nicht noch mal Weib
Frage mich wohl oft, warum ich hier nicht bleib
Wort an Satz zu Zeilen setze und andre Verse schreib