GERNHARDT, Robert
Als er zum 3. Oktober 1990 gefragt wurde, was er von Deutschland erwarte und was er dem vereinten Land wünsche
Deutsche! Frei nach Bertolt Brecht
Rate ich euch, wählet recht:
Von den Zielen die wichtigen
Von den Mitteln die richtigen
Von den Zwängen die spärlichen
Von den Worten die ehrlichen
Von den Taten die herzlichen
Von den Opfern die schmerzlichen
Von den Wegen die steinigen
Von den Büchern die meinigen.
Einer schreibt der Berliner Republik etwas ins Stammbuch
Erstmals sind die Aelteren
nicht per se schon Täter.
Erstmal heißt es: Macht erst mal,
bilanziert wird später.
Erstmals sind die Jüngeren
nicht per se schon Richter.
Erstmals schreckt das Kainsmal nicht
älterer Gesichter.
Erstmals müssen alle ran,
Turnschuhe wie Krücken.
Glückt's nicht, sind wir alle dran,
ergo muß es glücken.
Dreiakter
Nach Motiven von F. Kafka
Das Leben ist ein Fenster,
in dem du kurz erscheinst.
Mit deinem Auftritt öffnet sich
das Fenster jenen Augenblick,
der deiner Rolle zugedacht,
dann wird es wieder zugemacht,
wie du auch fluchst und greinst:
Dein Leben ist ein Fenster,
in dem du kurz erscheinst.
Auf deinen Auftritt wartet hier
kein Inspizient, kein Regisseur,
kein Stichwort, kein Szenarium,
kein Text, auch ist das Publikum
viel kleiner, als du meinst:
Dein Leben ist dies Fenster,
in dem du kurz erscheinst.
Zu deinem Abtritt nur so viel:
Wenn mal das Rampenlicht erlischt,
dann ist der Vorgang hausgemacht,
der Pförtner hat es ausgemacht,
nach Plan, nicht nach Verdienst:
Dein Leben war dies Fenster,
in dem du kurz erscheinst.
Siebenmal mein Körper
Mein Körper ist ein schutzlos Ding,
wie gut, daß er mich hat.
Ich hülle ihn in Tuch und Garn
und mach ihn täglich satt.
Mein Körper hat es gut bei mir,
ich geb' ihm Brot und Wein.
Er kriegt von beidem nie genug,
und nachher muß er spein.
Mein Körper hält sich nicht an mich,
er tut, was ich nicht darf.
Ich wärme mich an Bild, Wort, Klang,
ihn machen Körper scharf.
Mein Körper macht nur, was er will,
macht Schmutz, Schweiß, Haar und Horn.
Ich wasche und beschneide ihn
von hinten und von vorn.
Mein Körper ist voll Unvernunft,
ist gierig, faul und geil.
Tagtäglich geht er mehr kaputt,
ich mach ihn wieder heil.
Mein Körper kennt nicht Maß noch Dank,
er tut mir manchmal weh.
Ich bring ihn trotzdem übern Berg
und fahr ihn an die See.
Mein Körper ist so unsozial.
Ich rede, er bleibt stumm.
Ich leb ein Leben lang für ihn.
Er bringt mich langsam um.
Das Dunkel
Menschen kleiden sich gern bunt,
das hat einen dunklen Grund.
Menschen zeigen sich gern nackt-
Dunkelheit in Haut verpackt.
Ob im Mann, ob im Weib,
Dunkel herrscht in jedem Leib.
Auch trifft zu, daß Greis und Kind
innen völlig dunkel sind.
Hinter jedem roten Mund
öffnet sich ein dunkler Schlund.
Meerrettich und Brot und Wein
läßt der Schlund ins Dunkel ein,
Rein in Magen, Blase, Darm,
alle dunkel, aber warm.
Wein und Brot und Meerrettich
wandern durch ein dunkles Ich.
Auf dem Weg vom Ich zum Du
freilich geht's noch dunkler zu.
Dunkel lockt der Zeugungstrieb:
Laß mich ein. Hab mich lieb.
Dunkel bleibt auch, ob es frommt,
daß da das zusammenkommt:
Same sah nie Tageslicht,
Ei warf niemals Schatten nicht.
Klar ist nur, daß es das Glied
gradewegs ins Dunkel zieht,
Und daß es ein Spalt empfängt,
den es dunkel zu ihm drängt.
Dunkel ist, was sich dann tut,
Dunkel herrscht, wenn alles ruht,
Doch im Schoß der dunklen Nacht
regt sich dunkel der Verdacht,
Alles Licht sei eitel Schein
auf dem Weg ins Dunkelsein.
Zwei erinnern sich
Aber das war doch das Glück!
Als wir auf dieser Terrasse standen,
als sich erst Worte, dann Finger, dann Lippen fanden,
und ich beugte mich vor,
und du lehntest dich zurück –
»Das war nicht das Glück!«
Aber doch! Das war das Glück!
Als wir dann diese Treppe hochstiegen,
so heiß und von Sinnen, daß wir meinten zu fliegen,
und dann sprang diese Tür auf,
und es gab kein Zurück –
»Aber das war doch nicht das Glück!«
Aber ja doch! Das war das Glück!
Als wir uns zwischen diesen Laken verschränkten
und gaben und nahmen und raubten und schenkten,
und wer immer etwas gab,
erhielt es tausendfach zurück –
»Das war unser Unglück.«
Samstagabendfieber
Wenn mit großen Feuerwerken
Bürger froh das Dunkel feiern,
sich mit Bier und Fleischwurst stärken
und in die Rabatten reihern,
Wenn sie in den Handschuhfächern
kundig nach Kondomen tasten,
und die breiten Autos blechern
strahlend ineinanderhasten,
Wenn in Häusern bunte Schatten
herrlich aufeinander schießen,
sich verprügeln, sich begatten,
bis die letzten Kinos schließen,
Wenn dann in zu lauten Räumen
viele Menschen sich bewegen
und beim Lärmen davon träumen,
stumm einander flachzulegen,
Wenn am Ende Franz und Frieda
glücklich in der Falle liegen -:
Wer gedenkt dann jener, die da
noch eins in die Fresse kriegen?
Trost und Rat
Ja wer wird denn gleich verzweifeln,
weil er klein und laut und dumm ist?
Jedes Leben endet. Leb so,
daß du, wenn dein Leben um ist
von dir sagen kannst: Na wenn schon!
Ist mein Leben jetzt auch um,
habe ich doch was geleistet:
ich war klein und laut und dumm.
Roma aeterna
Das Rom der Foren; Rom der Tempel
Das Rom der Kirchen, Rom der Villen
Das laute Rom und das der stillen
Entlegnen Plätze, wo der Stempel,
Verblichner Macht noch an Palästen
Von altem Prunk erzählt und Schrecken
Indes aus moosbegrünten Becken
Des Wassers Spiegel allem Festen
Den Wandel vorhält. So viele Städte
In einer einzigen. Als hätte
Ein Gott sonst sehr verstreuten Glanz
Hierhergelenkt, um alles Scheinen
Zu steingewordnem Sein zu einen:
Rom hat viel alte Bausubstanz.