SILESIUS, Angelus
Du selbst mußt Sonne sein
Ich selbst muß Sonne sein,
ich muß mit meinen Strahlen
Das farbenlose Meer
der ganzen Gottheit malen.
Der beste Freund und Feind
Mein bester Freund, mein Leib, der ist mein ärgster Feind;
Er bindt und hält mich auf, wie gut ers immer meint.
Ich hass und lieb ihn auch, und wenn es kommt zum Scheiden,
So reiss ich mich von ihm mit Freuden und mit Leiden.
Ein Narr sucht vielerlei
Der Weise sucht nur eins
und zwar das höchste Gut.
Ein Narr nach vielerlei
und Kleinem streben tut.
Die Unruh kommt von dir
Nichts ist das dich bewegt
Du selber bist das Rad
das aus sich selbsten lauft
Und keine Ruhe hat.
Die Welt
Die Welt ist mir zu eng,
der Himmel ist zu klein:
Wo wird denn noch ein Raum
für meine Seele sein?
Die Rose
Die Rose ist ohne Warum.
Sie blühet, weil sie blühet.
Sie achtet nicht ihrer selbst,
fragt nicht, ob man sie siehet.
Dein Kerker bist du selbst
Die Welt, die hält dich nicht, du selber bist die Welt,
Die dich in dir mit dir so stark gefangen hält
Die Gleichheit schaut Gott
Wem Nichts wie Alles ist und Alles wie ein Nichts,
Der wird gewürdiget des Liebsten Angesichts.
Ein Abgrund ruft dem andern
Der Abgrund meines Geists ruft immer mit Geschrei
Den Abgrund Gottes an: Sag, welcher tiefer sei?
Du mußt, was Gott ist, sein
Soll ich mein letztes End und ersten Anfang finden,
So muß ich mich in Gott und Gott in mir ergründen
Und werden das, was er: ich muß ein Schein im Schein,
Ich muß ein Wort im Wort, ein Gott in Gotte sein.