BÄCHLER, Wolfgang
Begegnungen in Berlin
Ihr Lächeln fiel in den Teltowkanal
zwischen vermoderte Blätter,
verfaulte Leichen und Fische,
die unter den Wellen glänzten,
als sie die Möwen gefüttert hat.
Es floß kanalabwärts in die Havel.
Es traf mich wieder
im Spiegel der S-Bahn
nach Niederschönhausen
zu Stephan Hermlin,
als sie aus den westlichen Tunnels
sekundenlang ins Freie stieß,
durch den Himmel sprang
über die Spree in die Steinkanäle,
um wieder ins Dunkel
der östlichen Tunnels zu tauchen.
Im Donner des U-Bahnschachts
blitzte das Rot ihrer Lippen
gewittrig auf bei der Rückfahrt
unter dem Nordbahnhof
und erbleichte später
im geschlagenen Rahm
des Café Möhring auf dem Kurfürstendamm,
gefror zu Himbeereis.
Aufgelöst schwamm es am Abend
über die Straße zurück
in die Glastür
der Buchhandlung Marga Schoeller,
wo Gombrowicz stand
und es auffing.
Es erlosch zwischen mir und Butor.
Erwartung
Die Schiffe fahren ohne mich aus.
Ich bleibe auf den Landungsstegen zurück,
umzingelt von Möwen.
Sie öffnen die Schwingen
wie Fenster,
durch die ich das Meer
mit anderen Augen sehe.
Langsam entfaltet der Himmel
ein mächtiges Segel
über dem Steg.
In der Abendbrise
beginnt die Fahrt
auch für mich.
Die Erde bebt noch
Die Erde bebt noch von den Stiefeltritten.
Die Wiesen grünen wieder Jahr für Jahr.
Die Qualen bleiben, die wir einst erlitten,
ins Antlitz, in das Wesen eingeschnitten.
In unseren Träumen lebt noch oft , was war.
Das Blut versickerte, das wir vergossen.
Die Narben brennen noch und sind noch rot.
Die Tränen trockneten, die um uns fl ossen.
In Lust und Fluch und Lächeln eingeschlossen
begleitet uns, vertraut für immer, nun der Tod.
Die Städte bröckeln noch in grauen Nächten.
Der Wind weht Asche in den Blütenstaub
und das Geröchel der Erstickten aus den Schächten.
Doch auf den Märkten stehen schon die Selbstgerechten
und schreien, schreien ihre Ohren taub.
Die Sonne leuchtet wieder wie in Kindertagen.
Die Schatten fallen tief in uns hinein.
Sie überdunkeln unser helles Fragen.
Und auf den Hügeln, wo die Kreuze ragen,
wächst säfteschwer ein herber neuer Wein.
Depression
I.
Nun schliessen sich wieder die Wege,
auf denen ich unterwegs war.
Es bleibt keine Frist mehr,
verloren zu gehen.
Die Erde entzieht sich meinen Schritten.
Ich sinke durch Sumpf auf eine Wolke,
die sich in keinen Himmel mehr hebt.
Ich höre nur noch das Gerausch
meiner Schritte,
die nicht mehr vorwärtskommen.
Ich steige hinunter, ich stapfe,
ein Schatten im Schatten.
II.
Ich habe das Tischtuch zerschnitten,
den Tisch zerbrochen,
der für mich gedeckt war,
aus Angst, zu essen, zu trinken.
Ich habe das Feuer zertreten,
das für mich geschürt war,
um nicht mit mir warm zu werden.
Ich habe den Schlaf zerschnitten
mit den Messern meiner Gedanken
an Schuld und Versagen und Reue,
aus Angst vor den Träumen.
Nun wache ich
zwischen den Scherben und Asche
im Kalten allein.
Nur noch die Sohlen brennen
und zischen im Tau,
der sie löscht.